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Do-It-Yourself-Kultur

karlstiefel 05.03.2012 43957 22
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Wir sind Nerds. Das heißt, wir kennen uns mit einigen sehr speziellen, meist technischen Themengebieten sehr gut aus. Bei manchen Gebieten sogar so gut, dass wir selbst darin mitwirken: Wir basteln an unserem Rechner, wir schreiben Artikel auf overclockers.at oder programmieren unsere eigenen Tools. Die Do-It-Yourself-Kultur ist so lebendig wie noch nie und jeder kann ein Teil davon sein.

Basteln 2.0

Drehen wir die Uhr etwa vier Jahre zurück. Ich sitze vor meinem alten Laptop, der einen Wackelkontakt hat und unter keinen Umständen geschüttelt werden darf. Wenn man das Gerät zu viel bewegt, möchte es erneut geschüttelt werden, bis alle Kontakte wieder an ihrem Platz sind, denn sonst fährt der nicht mehr wirklich mobile Rechner gar nicht hoch. Die Anzeichen sind klar, ich brauche einen neuen Computer. Dabei entscheide ich mich dieses Mal gleich für einen Desktop-Rechner. Die im Fachgeschäft erwerblichen Komplettsysteme sind entweder unbrauchbar oder überteuert. Also fragte ich mich damals: “Warum baue ich mir das Teil nicht einfach selbst zusammen?” Was mich davon abhielt, war der komplette Mangel von Fachwissen in Sachen Hardware. Bis zu diesem Punkt war ein Computer ein Zauberkasten, der eben meine Arbeit erleichterte und manchmal aus einem ominösen Grund plötzlich nicht funktionierte. Etwa einen Monat später verlor die Hardware dann ihre Mystik - zumindest für eine ganze Weile. Ich war über aktuelle Grafikkarten, Stromversorgung, Prozessorsockel und Kühlmöglichkeiten informiert. Stück für Stück bestellte ich meinen neuen Rechner und baute ihn selbst zusammen. So kam ich nicht nur deutlich billiger weg, sondern eignete mir auch ein Wissen an, von dem ich bist heute noch profitieren werde. Natürlich nicht auf der Ebene wie der wHm, der selbst an Grafikkarten den Lötkolben ansetzt und schon mal mit flüssigem Stickstoff kühlt, aber alltagstauglich sind meine Computerkenntnisse auf jeden Fall.

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Das blieb von meinem Laptop übrig ...


Warum erzähle ich euch das? Es ist ein einfaches Beispiel der Selbermach-Kultur. Zwar habe ich die Einzelteile gekauft und nicht die Platinen selber geätzt, aber zusammengesetzt wurden sie von mir alleine. Das war der Punkt an dem mir klar wurde, dass ich selbst produktiv werden kann und es sich auch auszahlt. Ich kann Dinge nach meinen eigenen Vorstellungen modifizieren und reparieren. Ich muss nicht alles neu kaufen, sondern kann selbst in den Arbeitsprozess eingreifen. Die Grundlage des Hacker-Gedanken war in mir geboren worden.

Am Anfang war die Tischdecke



Aber woher kommt diese Bewegung? Drehen wir die Uhr nun weit mehr als nur vier Jahre zurück und begeben uns in das Jahr 1891. William Morris, Gründer der Dekorationsfirma Morris & Co veröffentlichte die erste Ausgabe des Magazins “Kelmscott Press” in England. Inhalt des unregelmäßig erscheinenden Heftes waren Gedichte, Abhandlungen über Design und persönliche Gedanken zur damals zeitgenössischen Ästhetik. Das von Morris verfolgte “Arts and Crafts Movement” war ein Gegenstück zur vorherrschenden Industrialisierung. In einem Zeitalter, wo das Fließband zum Sinnbild des Zeitgeists wurde, plädierten die Anhänger dieser Bewegung zur individuellen Arbeit und gestalterischen Freiheit. Das Magazin wurde bis 1898 weitergeführt, doch die Nachricht der Publikation fand enormen Nachhall. Von der selbst gestickten Tischdecke nach Großmutters Technik bis hin zum Backsteinhaus mit englischem Garten wurde die Idee des Selbermachers verfolgt. Es ging weniger um “wir sparen ein paar Pfund”, sondern um den Erhalt eines Lebensstils und einer Volkskultur, die im Schatten der herannahenden Globalisierung standen. Dabei war dennoch nicht die Vergangenheit das Ziel, denn schließlich wollte man sich vom historisch angehauchten viktorianischen Stil abgrenzen. Bei uns konnte man Ausläufer dieser Bewegung im Jugendstil erkennen - zumindest von der Ästhetik her.

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William Morris und ein Haus, in dem er hätte wohnen können.


Wirklich populär war die Bewegung bis etwa in die 1920er Jahre, doch wurde der Grundgedanke des emanzipierten Bastlers nicht vergessen. In der Nachkriegsära gab es nämlich mehr als genug zu tun. Als der Wiederaufbau Europas abgeschlossen war und ein wirtschaftlicher Aufschwung folgte, kam die Selbermach-Kultur wieder zum Zug. In Deutschland gab es sogar das Magazin “Selbst ist der Mann” ab 1957. Die Alltagsthemen der Bevölkerung waren nicht mehr die Sicherung der Grundversorgung und ob es morgen etwas zu essen gibt. Nein, eine ansprechende Inneneinrichtung, schicke Türschilder und Festtagsdekoration waren wieder relevant. Eine österreichische Variante des monatlichen Heftes gab es von 1958 bis 1962 - ein mäßiger Erfolg also. Das Original aus Deutschland gibt es allerdings bis heute. Nach dem Fall der Mauer wurde die DDR-Version “Practic” in den Verlag eingegliedert und über 10 Jahre lang weiter betrieben. Der Inhalt dieser Hefte war seit den Gründertagen jedoch gleich: Anleitungen, Ideen und weiterführende Konzepte wurden verständlich für Jedermann abgedruckt. Für die Projekte notwendige Materialien sind in jedem Baumarkt erhältlich. Ein einfaches Ziel wird verfolgt - jeder, der das Magazin liest, soll die Inhalte auch selbst nachbauen können. Dabei werden die Kategorien Möbelbau und Wohnen, Bauen und Renovieren, Technik und Gartenbau unterschieden. Dieser Trend hat es 2003 sogar in das deutsche Privatfernsehen geschafft. Zunächst gab es die Pseudodoku "Die Selberbauer". Mit "Do It Yourself - SOS" flimmerte dann sogar Sonja Kraus mit mäßig begabten Hausbastlern über die Mattscheibe. Aber auch davor gab es immer wieder das Image des kompetenten Selbermachers, auch in Österreich! "Der Selfman" gab zwischen 1991 und 2000 regelmäßig Tipps an die Zuschauer des ORF. Im Krimistil erzählte Andreas Steppan über seine kleinen Projekte, die er mit Hilfe einer hier nicht weiter genannten Heimwerksbedarf-Kette bestritt. Werbung hat er ja schon genug gemacht, beziehungsweise macht er wieder. 2009 gab es nämlich für 22 Folgen ein Comeback des Heimwerkers. Aber das ist eine andere Geschichte ...

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Held meiner Kindheit: Andreas Steppan, der Selfman.


Hack the Planet



“Atypisches Nutzerverhalten”, ein wundervoller Begriff. Wenn wir über Hacker reden, dann muss dieser Terminus auch fallen, denn es macht diese Subkultur aus. Schon in den Gründertagen des Hackens war das Selbermachen ein wichtiger Teil des eigenen Schaffens. Die 70er: Beim Tech Model Railroad Club des MIT College waren die Mitglieder nicht nur von ihren Modellen begeistert, sondern auch technisch versiert. Diese Kombination ermöglichte es ihnen, außergewöhnlich komplexe Systeme zu erschaffen. Wenn da einmal etwas nicht funktionierte, sah man sich einem für Außenstehende sicherlich sehr verwirrenden Schaltplan gegenüber. Für die Studenten des MIT war das aber kein Problem. Sie verschwanden unter dem Tisch, auf dem die Modelleisenbahn stand und tauchten in die Welt der Schaltkreise ab. Dort blieben sie, bis das Problem behoben war. Im Fachjargon sagte man zu diesem konzentrierten Fehlerbeheben oder Neuverkabeln auch “Hacken”. Nun war das Basteln an einer Modelleisenbahn nicht die spannendste Tätigkeit der Welt, darum spielten jene Studenten auch gerne mal einen Streich. Die Scherzkekse waren oft die Hacker, womit sich der Begriff auch allmählich in dem uns bekannten Kontext etablierte.

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So sahen Hacker lange vor Script-Kiddies und DDos-Angriffen aus.


Alle Voraussetzungen für den Hacker, wie wir ihn heute kennen, waren bereits vorhanden: technisches Wissen, Spezialisierung auf ein Fachgebiet und die Tendenz zum Unsinn machen. Die Entwicklung des atypischen Nutzerverhaltens war nur eine Frage der Zeit. Jemand, der sich mit technischen Geräten gut auskennt, möchte irgendwann auch wissen, wie die Geräte funktionieren. Das ist meist der Fall mit Equipment, das der Hacker auch benutzt. Zu C64-Zeiten war das noch ein wenig einfacher, denn um den Computer wirklich zu verstehen, musste man sich mit der Hardware-Architektur auseinandersetzen. Heute sind Microchips und Festplatten zu komplex für die meisten Nutzer. Selbst wenn man sich wirklich mit der Software-Ebene auskennt, heißt das nicht zwingendermaßen, dass man bei der Hardware ebenfalls so sattelfest ist. Für einen Hacker ist das jedoch kein Hindernis, sondern eine Herausforderung. Erst wenn man Dinge versteht, kann man sie auch in ihrem vollen Funktionsspektrum nutzen. Und wenn das nicht mehr den eigenen Anforderungen genügt, dann bastelt man eben selbst! Hacken ist nicht auf Computer beschränkt, jede Modifikation, die das Grundgerät für etwas anderes als den eigentlichen Zweck nutzt, kann man als “Hack” bezeichnen. Die Grundlagenkenntnisse ermächtigen einen Nutzer mit genügend Ressourcen nämlich dazu, selbst funktionelle Eigenkreationen zu erschaffen. Wie diese aussehen, ist eine Frage der Ethik. Hacker ohne Moral können Viren und Bot-Netze erschaffen, Spam verschicken und Webseiten sowie Online-Dienste sabotieren. Im Gegensatz zu den “Black Hat Hackern” gibt es aber auch noch die braven “White Hat Hacker”. Letztere nutzen ihre Fertigkeiten, um ihre Umwelt zu verbessern. Da werden Geräte geöffnet und verbessert, Sicherheitslücken in Systemen gestopft und scheinbar kaputte Dinge wieder repariert oder wiederverwertet. Dazwischen finden wir die “Grey Hat Hacker”, die Chaoten im eigentlichen Sinne. Gesetzeslücken werden ausgenutzt, Webseiten zum Spaß sabotiert, Racheakte an Personen und Organisationen verübt, denen man es teilweise gönnt. Nicht gut, nicht böse, aber egal, denn Chaos braucht eben keine Richtung.

3D-Drucker und Club Mate



Wir gehen hier von den produktiven Hackern aus und somit von Leuten, die ihre Fähigkeiten für konstruktive Zwecke verwenden. Dafür braucht man (neben dem Fachwissen) auch gewisse Ressourcen. Neben dem Material für die Projekte ist auch das passende Werkzeug von Nöten. Und hier sind nicht Hammer und Schraubenzieher gemeint, sondern CNC-Fräsen, eine Drehbank oder sogar ein 3D-Drucker. Diese Geräte sind - ihr ahnt es sicher schon - sehr teuer und für eine Privatperson einfach nicht rentabel. Damit nicht nur kommerzielle Firmen Zugriff zu solchen Maschinen haben, ermöglichen sogenannte Hackerspaces den fleißigen Tüftlern, schwere Geräte dieser Art zu nutzen. Gegründet meist von Nerd-Gruppen, die zusammen in große Maschinen investieren wollten, entwickelten sich diese Bastlertreffs bald zu mehr als nur Gemeinschaftswerkstätten. Denn während der eine Tüftler sich mit Schaltkreisen und dem Gravieren von Kunststoffen auskennt, weiß sein Mitnerd über die passenden Polymere für 3D-Drucker und Funktechnik bescheid. Wenn nun Nerd A das Wissen von Nerd B für sein aktuelles Projekt benötigt, muss Nerd A nicht lange suchen; schließlich arbeiten die beiden zwei Mal im Monat nebeneinander in der selben Werkstatt. Wie praktisch.

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LED-Throwies: Lämpchen, Magneten und Batterien geben zusammengeklebt eine witzige Dekoidee.


Hackerspaces wurden so nicht nur zu einer Anlaufstelle für Selbermacher, sondern zu einem Ort für den Austausch von Wissen und für die Weiterbildung. Eine Wissenskultur entstand, in der auch bald andere Ausprägungen der Alternativkultur Einzug hielten. Weil Nerds nun mal Nerds sind, wird in vielen Hackerspaces stilecht Club Mate getrunken und das Schaffen des Chaos Computer Clubs mitverfolgt. Kleine Anekdote am Rande: Ein Hackerspace in New York hat einen Mate-Schrein, bei dem die einzige, während eines Lieferengpasses verbliebene Flasche der Hackerbrause angebetet werden konnte. Mittlerweile gibt es aber wieder Club Mate an der US-Ostküste.

Wie auch immer, in einem Hackerspace treffen Wissenschaft, Kunst, Kultur und Technologie aufeinander, gut durchgemischt und versetzt mit einer starken Prise Forschungsdrang. In Wien gibt es übrigens das Metalab und das Happylab. International sind die C-Base in Berlin, der NYC Resistor in New York und die Noisebridge in San Francisco erwähnenswert. Alle vier Jahre gibt es in der Nähe von Berlin das Chaos Communication Camp, zu dem alle Hackerspaces ausdrücklich eingeladen sind. Während man 1999 noch die LAN-Kabel über einen Acker verlegen musste, machen WLAN und der Internetzugang via Mobilfunknetz das nerdige Zelten heutzutage viel einfacher. Dieses Jahr stellte das Metalab einen Crépe-Roboter aus und funkten mit dem Mond als Reflektionsfläche (ein sogenannter Moonbounce). Das würde auch einfacher gehen, aber dann müsste man ja nichts basteln.

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Der RepRap 3D-Drucker kann den Großteil seiner Bauteile selbst anfertigen.


Der mündige Konsument



Nun stellt sich noch eine Frage: Welche Bedeutung hat die DIY-Kultur in unserem Leben? Jeder Konsument muss natürlich für sich selbst entscheiden, wie eigenständig er sein möchte. Kauft man stets neue Produkte, werden Umwelt und Geldbeutel belastet und obendrein muss man sich mit Standardware begnügen. Sollten die eigenen Ansprüche jedoch höher sein, so zahlt es sich unter Umständen aus, etwas Zeit in die Eigenproduktion zu investieren. Das setzt natürlich das Fachwissen und die (mittlerweile einfach zugänglichen) Produktionsmittel voraus. Insgesamt kommt es also wahrscheinlich nicht wirklich günstiger, doch ergibt sich die zusätzliche Möglichkeit zur Personalisierung. Außerdem ist es heute nicht mehr selbstverständlich, dass man die Kontrolle über seine eigenen Besitztümer behält. Beispiel iPod: Der beliebte MP3-Player der Marke Apple geriet mehrfach in das Kreuzfeuer der Kritiker, da die Batterie nicht austauschbar ist. Für einen “Standardbenutzer” sieht das Konsumverhalten vor, dass er sein Gerät nutzt, bis die Batterie den Geist aufgibt und sich dann ein neuen Player kauft. Bis dahin kann es zwar sehr lange dauern, doch ist ein Eingriff in die Hardware nicht vorgesehen. Selbes Beispiel mit einem Alltags-Hacker: Nach wenigen Jahren täglicher Nutzung ist die Akkuleistung des Gerätes in seinen Augen ungenügend. Nun wird eine Ersatzbatterie von einem Dritthersteller erworben, der Player vorsichtig geöffnet und die defekte Energiezelle ausgetauscht. Der iPod ist wieder wie neu - bloß, dass es natürlich mittlerweile fünf Nachfolgemodelle gibt.

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So geht das!


Im Endeffekt ist es schlicht und einfach praktisch, wenn man Dinge reparieren oder selbst zusammenbauen kann. Tutorials und Anwendungsmöglichkeiten gibt es schließlich genug und gerade durch das Internet ist der Wissensaustausch einfacher als jemals zuvor. Egal ob das Schreiben von Programmen, die Reparatur von Fahrrädern oder das Basteln mit LEDs - mit genügend Neugier und Eifer können diese Disziplinen problemlos erlernt werden. Unterm Strich haben wir also die Mitgestaltung unserer Umgebung in der Hand - wenn wir das wollen.
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