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In Your Face Friday #20

karlstiefel 16.09.2011 23141 8
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Spiele sollen Spaß machen. Bei den Serious Games steht allerdings etwas Anderes im Fokus: Das Übermitteln einer Botschaft. Aber schaffen es die spielbaren Lebenslektionen tatsächlich, die Zocker zu fesseln oder verhallen die Nachrichten im digitalen Nirwana?

Sind Spiele Kunst? Nein, diese Frage ist zu weit ausgeholt. Kann man Spiele ernst nehmen? Ja, schon besser – mit dieser Fragestellung möchte ich mich an das Thema Serious Games wagen. Dass die Spieleindustrie – und ich meine nicht nur Computerspiele, sondern auch Brett- und Kartenspiele – eine funktionierende wirtschaftliche Basis hinter sich haben und auch dementsprechend Relevanz haben, lässt sich nicht abstreiten. Doch trifft das auch auf die Inhalt dieser vorwiegenden Unterhaltungsmedien zu? Serious Games zeichnen sich nämlich dadurch aus, dass sie eine Spielmechanik nehmen und damit eine Botschaft übermitteln. Dabei darf man sie nicht mit Lernspielen in einen Topf werfen, die spielerisch die kognitiven Fähigkeiten (zumeist von Kindern) fördern – das ist ein eigenes Kapitel. Hier geht es um etwas weitaus schwerer Verständliches ... um Philosophie, wenn man so möchte. Spiele haben eine geniale Eigenschaft: Sie lassen uns an die Stelle von jemand anderem treten und frei von jeglichen Konsequenzen handeln. Warum dieses Prinzip also nicht auf Extremsituationen anwenden?

Serious cat!
Serious cat needs serious games!


Die Idee, durch ein Spiel einen ernsten Inhalt zu vermitteln, stößt allerdings auf einige Probleme. Zumal, dass keine Art des Spielens an sich aufgrund der Handlung als kompetent genug angesehen wird, um solche Sachverhalte zu behandeln. Selbst ein wesentlich etablierteres Medium wie der Film tritt hier schon auf dünnem Eis, wenn zum Beispiel der Holocaust thematisiert wird. Und jetzt stellt euch folgendes vor: Holocaust – das Brettspiel. Klingt befremdlich? Gibt es aber! Das Spiel heißt "Train" und im Spielverlauf geht es darum, die Züge zu beladen, die in Konzentrationslager fahren. Man hat die Entscheidung zwischen Leben und Tod. Das macht Stimmung bei jedem Spieleabend!

Train - das Brettspiel zum Holocaust!
Bei "Train" geht es um die Beladung von Zügen, die ein Konzentrationslager als Ziel haben.


Ebenfalls ein gutes Beispiel ist 1387 (km). So lange war nämlich die Mauer, die sich bis Ende der 80er durch Deutschland zog und das Land teilte. Im gleichnamigen Halflife-Mod hat man die Wahl, entweder den Flüchtling zu spielen, der über die stark bewachte Grenze dem realsozialistischen Regime entkommen möchte, oder man übernimmt die Rolle eines Grenzsoldaten – mit Schießbefehl versteht sich von selbst. Plötzlich ist das Feuern einer Waffe nicht mehr so einfach, wenn Zivilisten statt Combine vor dem Fadenkreuz stehen.

Der ernstzunehmende Halflife-Mod "1378 (km)".


Aber funktionieren diese Beispiele auf die ihnen zugedachte Art? Nun ja … leider nicht wirklich. In meiner Signatur findet ihr derzeit ein Zitat von Marshall McLuhan: „The Medium is the Message.“. Inhalte sind austauschbar, worauf es bei der Mediennutzung ankommt, sind die Mechaniken dahinter. Das ist bei Spielen nun mal mehr der Fall als beispielsweise beim Film, denn Gameplay ist ein essenzieller Teil des Verkaufsarguments. Ein Spiel kann eine noch so tolle (oder lehrreiche) Geschichte haben, in bester Grafik glänzen und in jedem Produktionsdetail ein Meisterwerk sein – wenn es sich nicht gut spielt, ist es einfach kein gutes Spiel. Ein wirklich gutes Game erzählt daher seine Geschichte eben durch die Spielmechanik. Genau hier kann es schnell zu einem Ungleichgewicht kommen und das Spiel selbst wird Mittel zum Zweck und nicht Mittelpunkt der Anwendung. Oder einfach gesagt: Die meisten Serious Games sind leider langweilig, da sie nicht wirklich gut sind.

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Bioshock Infinite - ernsthafte Unterhaltung?


Wie können es Spiele dann schaffen, ernsthafte Inhalte zu vermitteln? Eigentlich tun sie sogar schon. In der Bioshock-Serie wurde bisher der freie Wille und das Verhältnis vom Individuum zur Gruppe behandelt. Der 2012 erscheinende Teil namens Bioshock Infinite wird sich dem Amerikanismus widmen. In RPGs wie The Witcher 2: Assassins of Kings erhält das eigene Handeln in moralisch fragwürdigen Situationen unmittelbare Konsequenzen. Natürlich sind diese Beispiele aus abstrakteren Welten, wie einer Unterwasserstadt oder einem Fantasy-Königreich, doch auch dort gelten dieselben Werte wie in der realen Welt. Das eigene Handeln in einem vorgegebenen Regelwerk ist in einem Spiel also genauso zu erlernen bzw. zu beachten, wie in der Realität mit all ihren sozialen Konstrukten. Natürlich kann man in einer Spielewelt auch durchdrehen und die Spielfigur zu einem neuen Darth Vader machen - ich erinnere alle Spieler von Mass Effect 2 an ihr Verhalten. Wenn man jedoch Spiele für einen Moment lang ernst nimmt und sie als moralischen Kompass sieht, sind sie mit ihrer Entscheidungsfreiheit ein Serious Game – zwar nicht mit realen Sachverhalten, doch wie der werte Herr McLuhan bereits erkannte: Inhalte sind austauschbar, Entscheidungen nicht.
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