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In Your Face Friday - Das Karten-Syndrom

karlstiefel 19.02.2016 19689 4
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Ah, eine neue Quest! Gleich mal schauen, wo sie uns hinführt. Wie praktisch, in dem Teil des Gebietes warten noch drei andere Aufgaben auf uns. Die können wir ja gleich abhaken - und dann einschlafen. Viele Computerspiele haben Weltkarten als Orientierungshilfen eingeführt, die uns als Spielern leider schon zu viele Informationen geben. Das mag im richtigen Kontext hilfreich sein, korrumpiert in den meisten Fällen aber jegliche Form der Erkundung. Gehen wir also in Richtung einer Spielmechanik, deren Questmarker ein wenig zu groß geworden ist.

Selten aber doch gibt es Spiele, die sowohl bei Kritikern als auch bei den Zockern selbst enorm gut ankommen. Dann regnet es "Game of the Year"-Auszeichnungen - verdient. Im vergangenen Jahr war The Witcher 3: The Wild Hunt ein solches Meisterwerk. Ich selbst habe in Velen, Novigrad und den Skellige-Inseln schon zahlreiche Abenteuer erlebt, Monster gejagt und Gwint-Partien gewonnen. Und so gut ich den dritten Ausflug in die Welt von Gerald von Riva auch finde, ein Detail stört mich trotzdem. Anfangs konnte ich es nicht genau benennen aber irgendwas störte mich beim Erkunden der reichhaltigen Landschaften. So interessant ich auch das Entdecken von Ruinen, Monsternestern und Dörfern finde, etwas hat mich an der Karte gestört. Dann wurde es mir klar: Die Karte selbst stört mich. Mit einem Detailgrad, der eigentlich eine Vermessung via Satellit voraussetzt, war die Karte schlicht und einfach zu voll. Jeder Hügel, jedes Häuschen und sogar jede offene Quest sind eingetragen. Ich, als Spieler, muss mir nichts mehr merken sondern nur noch dem Navigationssystem von Plötze (so heißt die Stute Geralds) folgen. So praktisch das auch ist - ein wenig reißt es mich als Spieler heraus.

The Witcher 3 ist da kein Einzelfall. Quasi jedes Spiel mit einer halbwegs weitläufigen Karte strotzt nur so vor Questmarkern, Schnellreisepunkten und Ortsnamen. Skyrim, Fallout 3, New Vegas und 4 sowie FarCry 3 und 4, um nur ein paar zu nennen, leiden unter der selben Bequemlichkeit. Ein positives Beispiel, wie es auch anders geht, bietet FarCry 2. Dort hat man als eigenen Gegenstand, den man wie eine Waffe in jedem anderen Shooter in die Hand nehmen muss: Eine Karte. So richtig eine Karte von der ganzen Region und ein GPS-Gerät mit einem kleinen Ausschnitt mit dazu. So muss man erst herausfinden, wo man auf der großen Karte eigentlich ist und sich dann orientieren. Das gibt ein Gefühl von Größe, von der Möglichkeit, dass man sich verlaufen kann. Den richtigen Weg oder gar ein Geheimnis zu finden wird durch diese kleine Änderung im Gameplay zu einem persönlichen Erfolg. Wo man bei anderen Spielen nah dran ist, überall hin schnellreisen zu können, muss man sich bei FarCry 2 den Weg von A nach B erarbeiten. Reisen wird zur Arbeit im Raum.

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So interessant die Welt von Witcher 3 auch ist, sie zu erkunden ist manchmal zu einfach.

Dabei ist die Karte - genau so wie andere Spielmechaniken - ein Versatzstück, das stimmungsgebend sein kann. Bei den alten Teilen der Thief-Serie wurde das schön umgesetzt: Bezahlte Informanten lieferten dem Protagonisten Garrett Details zum Layout von Häusern oder Straßenkarten basierend auf ihren Erinnerungen. Dass manche Straßen da voller Schutt und unpassierbar sind oder dass manche Räume eines Hauses nur auf Schätzungen basieren, macht den Aufenthalt darin interessant. Durch den Aufbruch ins Ungewisse muss man Pläne neu auslegen, sich der Situation anpassen und nicht selten improvisieren. Das gezielte Fehlen von Informationen was das Terrain angeht, erzeugt Spannung. Wenn man als Spieler diese schwarzen Flecken auf der Karte erkundet, schreibt man das eigene Abenteuer. Und wenn man etwas findet, ist das ein regelrechter Erfolg. Keine Questmarker und keine Wegbeschreibung - und trotzdem mehr Spaß.

Wenn man etablierte Elemente - und die Karte sowie ihre Annehmlichkeiten fallen definitiv darunter - wegnimmt oder abändert, kann Raum für Innovation geschaffen werden. Denkt an Portal, den Shooter ohne echte Waffen. Oder die Smash Bros.-Serie, ein Prügel-Spiel ohne Lebensbalken. Natürlich muss in beiden Fällen ein adäquater Ersatz her, wie namensgebende Portal-Gun oder die Aufladung bei Nintendos MMA-Arena. Erst durch das Hinterfragen von Mechaniken, die wir für "normal" halten, kann ein spielerisches Wachstum stattfinden. Wenn ihr das nächste Mal etwas zockt, dann könnt ihr euch ja folgende Frage stellen: Was ist eine der gravierensten Spielmechaniken und wie wäre es ohne sie? Oder mit einer ähnlichen Mechanik? MOBAs in denen man die Türme und Minions spielt. Rennspiele, bei denen man die Strecke steuert. Städtebau aus Anwohner-Perspektive. Gut, ich höre mich mittlerweile an wie der kommödiantische Twitter-Account von Peter Molydeux aber ihr versteht hoffentlich, was ich meine. Vielleicht kann man ja mit den Karten anfangen. Das könnte ja eine Entdeckung wert sein.
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