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In Your Face Friday - In Verteidigung des Selfie

karlstiefel 20.03.2015 14607 17
Egozentrisch, unnötig, langweilig - das Selfie in drei Worten. Vielleicht steckt hinter dem verhassten Foto auch mehr. Das Duckface könnte die Siegerpose einer ganzen Generation sein und es geht an uns vorbei. Stellen wir uns also die Frage: Sind wir bei aufziehbaren Fotoapperaten und Sofortbild-Kameras hängen geblieben und haben den Anschluss verloren? Vielleicht hat das Selbsportrait mehr kulturellen Wert als wir ihm zutrauen.

Alleine schon das Wort. "Selfie". Vielen von euch läuft wahrscheinlich gerade ein unangenehmer Schauer über den Rücken. Früher (tm) gab man den Fotoapparat noch einen vertrauenswürdig aussehenden Fremden, um ein Bild von einem zu machen. Heute hat man einen Selfie-Stick. Fürchterlich. Ich könnte Seiten lang beschreiben, wie bescheuert diese Entwicklung eigentlich ist - aber zur Abwechslung möchte ich das genaue Gegenteil versuchen. Schauen wir uns an, was das Selfie zu einer relevanten Kulturtechnik macht. Es wird nicht einfach und wir werden mit Sicherheit auch morgen noch die Augen rollen, wenn eine 14-Jährige wieder den Gesichtsausdruck einer Ente imitiert aber immerhin geben wir dem eigenwilligen Fotostil eine Chance.
In den vergangenen Jahrzehnten ist etwas Tolles passiert: Fotografie war bis in die 90er ein Medium mit einem gewissen Archiv-Charakter. Momente wurden festgehalten, selektiert und in Bilderalben festgehalten. Der Prozess vom Drücken des Auslösers bis zum Einkleben war etwas langwierig. Der im Idealfall volle Film musste bei einem Geschäft abgegeben werden, welches einige Tage später die entwickelten Bilder und die Negative rausrückte. Dann und erst dann konnte der Fotograf wissen, ob die Fotos unscharf, verwackelt oder abgeschnitten waren. Motive mehrfach ablichten war kostspielig - schließlich war auf dem Film nur begrenzt Platz. Die Lösung für viele dieser Probleme war die Digitalfotografie, welche den analogen Film mittlerweile vollständig abgelöst hat. Außer bei Hipster halt.
Natürlich war hier der Anfang nicht unbedingt elegant. Pixelige Bilder mit niedriger Auflösung, Speicherkarten in MegaByte-Größe und der Mangel an Ausdruck-Stationen haben sich aber mittlerweile auch erledigt. Für den Gelegenheits-Fotografen reicht eine günstige Digitalkamera allemal. Die meisten Handybesitzer haben eine Schmappschuss-Kamera ohnehin in ihrem Telefon verbaut. Es stellt sich also nicht mehr die Frage, ob man ein Foto machen kann oder nicht.

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Spätestens bei den Oscars 2014 ist das Selfie in der Populärkultur angekommen.

Was passiert, wenn wirklich jeder eine Kamera hat, sehen wir anhand des Selfies. Wer denkt, dass es sich dabei um eine Modeerscheinung der Generation Facebook handelt und ein Ausdruck des egozentrischen Denken von eitlen Leuten ist ... hat recht. Sie tragen nichts zur künstlerischen Entwicklung des Mediums bei und bieten kein interessantes Motiv. ABER es steckt mehr dahinter. Selfies sind nämlich nicht einfach nur Fotos. So austauschbar und gleichbleibend ihr Inhalt ist, so wichtig ist dieser dennoch. Sinn und Zweck von Selfies ist es nämlich nicht im traditionellen Sinne ein Bild zu machen, sondern den aktuellen Status des Urhebers zu zeigen. Seht dahinter keine Fotografie, die man ausdrucken und in ein Album einkleben würde, sondern den selbstgemachten Ersatz für ein Facebook-Update oder ein Smiley.
Über den Selfie-Trend werden wir in 20 Jahren lachen, so wie wir heute manche Eigenheiten der 90er etwas peinlich finden. Diese bildliche Art des Statusupdates wird von den "Fotografen" und "Model" - einem Prosumenten also - nicht aktiv und bewusst betrieben. Somit folgt die breite Masse der Selfie-Macher nur dem Trend, welcher nicht kultiviert wird. Ohne eine gezielte Beeinflussung des "Selfietums" wird dieses wohl eher verschwimmen, wenn andere Technologien, Sturkturen der Kommunikation (besonders bei Facebook) oder Trends dominant werden. Aktuell haben wir es aber mit einer halbwegs etablierten Kulturtechnik zu tun, die uns den postmodernen Zeitgeist vor Augen hält: Jeder ist Urheber, Sender und Empfänger gleichermaßen. Vorbei sind die Zeiten, als nur Profis eine Kamera besaßen und bedienen konnten. Eigentlich wäre das ja nicht so schlimm aber muss dieses bescheuerte Duckface wirklich sein?

Bringen wir die Selfie-Kultur auf overclockers.at! Postet euer Selfie in den Kommentaren, das beste Bild ... nein, das beste Update verschafft dem Urheber die Möglichkeit, sich ein In Your Face Friday Thema aussuchen zu dürfen. Das und Spott sowie Anerkennung der oc.at-Community.

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Selfie-Level: GameBoy Camera. Überbietet das!
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