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In Your Face Friday - Pokétrainer unterwegs

karlstiefel 22.07.2016 25236 12
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Uh, ein Nebulak! Gleich da drüben! Die Aufregung ist groß, wenn das Handy wegen Pokémon Go vibriert. Meistens ist man dann nicht der Einzige, der sich das digitale Monster schnappen möchte. Fraglich ist nur, welche Route der Hype-Train von Nintendo nehmen wir und was das für die Folgezüge bedeutet.

Also ich hab schon viel Blödsinn miterlebt aber dieser Schwachsinn setzt dem Ganzen die Krone auf. Da rennen wirklich gruppenweise die Leute rum, anscheinend von anderen "Teams" mit eigenen Farben. Die spielen fanatisch ihr Spiel, das eigentlich nur zur Geldmache gedacht ist. Teilweise schauen die nicht mal, wo sie hin rennen. Deshalb laufen diese Witzfiguren manchmal sogar ineinander und fallen dann um wie die letzten Lappen. Dieser Farce wohnen dann auch noch Zuschauer bei, die anscheinend nichts Besseres zu tun haben. Zum Glück ist die Fußball-Europameisterschaft aber vorbei und wir können über etwas Leiwandes reden - nämlich Pokémon Go.
Es ist nämlich wirklich erstaunlich - wenn ich durch die Stadt gehe, kommen mir immer wieder Pokétrainer entgegen. Sie tragen keine schicke Mütze und doch sind sie erkennbar. Aufs Handy wird sowieso immer geschaut, das ist auch kein Erkennungszeichen. Wirklich markant ist, wie sich die Jäger und Sammler verhalten und bewegen. Es werden ein paar Meter gegangen, sich umgeschaut, kurz was am Handy gemacht. Dann geht die Suche nach dem nächsten Neuzugang weiter. Oft passiert das in der Gruppe - obwohl doch jeder für sich alleine spielt. Das ist aber egal, die Freude am Pokémon-Suchen wird lieber geteilt. Außerdem möchte man ja nicht verpassen, wenn einer der Freunde ein Relaxo findet, das möchte man ja auch im Pokédex haben.

Was bei Pokémon Go bereits passiert ist, übertrifft jede Erwartung. Im Zuge der Hype-Welle wurden Kilos verloren, Leichen gefunden, Jobs gekündigt, die Fallhöhe von Klippen getestet und ganze Landstriche überrannt. Aber wie kommt es zu dieser Popularität eines eigentlich doch recht simplen Spiels? Hier kommen mehrere Faktoren zusammen, die sich am besten als "richtige Zeit, richtiger Ort" beschreiben lassen. Zunächst hat Pokémon eine massive Fanbasis. Kein Wunder, sind die Editionen Rot und Blau doch bei uns 1999 erschienen - auch damals mit massivem Anklang. Seither sind sechs weitere Teile der Hauptserie und unzählige Spezial-Editionen, Remakes und Spin-Offs entstanden. Ich kenne kaum jemanden, der 30 oder jünger ist und der sich nicht zumindest an einem Punkt mit Pokémon kurz unterhalten hat. Der Wiedererkennungswert der Marke ist also enorm. Das haben die Entwickler Niantic Labs mit ihrem aus dem Vorgänger Ingress gewonnenen Know-How kombiniert, um eine kurzweilige und für viele Spieler neue Gaming-Erfahrung zu erstellen.

Die gewählte Plattform ist nicht etwa die hauseigene Nintendo Handheld-Konsole 3DS, sondern das Mobiltelefon. Ein Kurswechsel, den Nintendo vor einigen Jahren bereits angekündigt hat. Das löst die Frage der Verfügbarkeit - die Spieler müssen sich nicht die Hardware holen (obwohl das natürlich für Nintendo profitable wäre), sondern können ihr Smartphone schnappen und gleich loslegen. Das verwendete Konzept ist denkbar einfach: Rumgehen und kleine Monster sammeln. Die Grundlagen dafür haben die Spieler schon bei Google Maps und den eigentlichen Pokémon-Titeln gelernt. Große Fanbasis, bestehende Infrastruktur, Literarität des Gameplays - und dazu wurde der Nerv der Zeit getroffen.

Wie jetzt, Verkehr? Mir doch egal, dort drüben ist ein seltenes Pokémon!

Kein Wunder also, dass die Nintendo-Aktie binnen kürzester Zeit um 20% gestiegen ist. Und, dass es kurz sogar mehr Google-Suchen nach "Pokémon Go" als nach "Porn" gab. Auf jeden Fall ist der mehr als erfolgreiche Testballon am Mobile-Markt ein klares Zeichen für Nintendo: Diese Art von Spiel kommt an. Wirklich interessant wird, wie der Publisher auf dieses Signal reagieren wird. Immerhin ist er nicht für seine "klar nachvollziehbaren" Strategien bekannt. Aber genau das macht ihn auch so interessant - statt Schritten nach vorne wie die Konkurrenz macht Nintendo auch gerne mal einen Schritt zur Seite. Fuchtelsteuerung, Amibos und der 3DS sind Resultate dieses Querdenkens. Nun bleibt abzuwarten, was das für die "neue Strategie" des Gaming-Riesen heißt. Zwar ist der 3DS noch immer eine Gelddruckmaschine, die WiiU erwies sich jedoch als zu schwach, um den Markt wie ihr Vorgänger aufzumischen. Nun steht eine neue Konsole (aktuell als "Nintendo NX" bekannt) in den Startlöchern. Und da ohnehin jegliche Spekulation über diese neue Hardware in der Blase verpuffen wird, können wir ja - basierend auf dem Erfolg von Pokémon Go - wild zu spekulieren beginnen. Zunächst werden sie das machen, was sie können: auf ihre eigenen Franchises setzen. Pokémon, Super Mario, Zelda, Donkey Kong und Konsorten werden auch bei der NX wieder eine große Rolle spielen. Neu könnte jedoch die direkte Konsequenz aus dem Augmented Reality-Spiel sein, nämlich die Verbindung von mobilen Geräten und Konsole. Die Amibos (und ähnliche Konzepte wie Disney Infinity und Lego Dimensions) haben bereits die Grenze zwischen Konsole und Sammelobjekt verschwimmen lassen. Wenn Nintendo nun auf den Mobilmarkt setzt, können wir vielleicht in Zukunft Amibos wie Pokémon fangen und trainieren. Oder eine Sammelfigur wird von physikalischen Objekt zum digitalen Begleiter, der beim AR-Spiel uns zur Seite steht. Nach einem Tag Abenteuern im Freien kann man sich dann an die Konsole setzen und den Amibo andocken, wodurch die Verbindung zum digitalen Sidekick automatisch hergestellt wird. Die Inhalte, die wir unter Tags gefunden haben werden dann in andere Spiele übertragen.

Dass ein Szenario wie dieses kommen wird, ist immer wahrscheinlicher. Große Fanbasis, bestehende Infrastruktur, Literarität des Gameplays - eine Kombination, die euch ja mittlerweile bekannt vorkommen könnte. Wie es wirklich wird, lässt sich natürlich erst sagen, wenn wir die NX schon in den Regalen stehen haben. Ziemlich sicher wird Nintendo aber seine Lehren aus dem erfolgreichen Projekt Pokémon Go für den Kurs seiner nächsten Konsole ziehen. Wenn nicht können sie ja immer noch mehr AR-Spiele herausbringen - Mario Kart Go zum Beispiel.
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