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In Your Face Friday - Sieht gut/schlecht aus

karlstiefel 04.03.2016 28629 16
Es hätte so cool werden können - wird es aber scheinbar nicht. Der Hype um VR-Brillen muss sich mit den ersten verfügbaren Modellen einem Realitätsabgleich stellen und es sieht nicht gut aus. Das liegt aber nicht am Produkt selbst, sondern an den Umständen, wie es auf den Markt kommt. Eine Reihe von schlechten Entscheidungen könnte der Technologie die Zukunft kosten.

Ach, was haben wir gehofft, dass VR-Brillen einen riesen Schritt in die von uns so ersehnte Zukunft darstellen. Im In Your Face Friday - Aussicht für die Brille gabs noch leise Kritik mit einem Funken Zuversicht von mir. Damit ist jetzt Schluss, karlstiefel beschließt hiermit, dass VR-Brillen nicht mehr zur großen Revolution in Sachen Medienkonsum werden. Schade. Wäre nämlich geil gewesen aber in den vergangenen Jahren wurden zu viele Fehler gemacht, die der Technologie wohl die Wirkung gekostet haben, die sie hätte haben können. Aber was ist denn genau schief gegangen? Viele:

Die Hardware kommt zu langsam auf den Markt. Seit 2012 befindet sich Oculus Rift, einer der bekanntesten Vertreter der VR-Brillen in Entwicklung. Kaum ein Jahr später gab es die ersten Developer-Kits. Kunden gehen bis heute leer aus. Gut, mittlerweile kann man Oculus Rift und HTC Vive bereits vorbestellen - bloß kommt das leider zu spät. Durch diese enorme Verzögerung haben sich die Firmen hinter der Hardware selbst die Wind aus den Segeln genommen. Was vor einigen Jahren "das neue Ding" war, ist heute eine wiedergekaute Versprechung, die noch nichts eingehalten konnte, was sie versprochen hat. Wie auch, wenn man sie einfach nicht kaufen kann? Viele Konsumenten warten daher seit Jahren auf die versprochene Revolution in Sachen Peripherie, die einfach nicht kommt.

Es fehlt der Kaufgrund. Wenn im Vorfeld der Veröffentlichung schon zu viel Hype und Erwartungen aufgebaut werden, dann können die Produkte nur enttäuschen. Klar, virtuelle Realität ist - wenn sie wie aktuell geschehen richtig umgesetzt wird - einfach atemberaubend. Man kann sich durch digitale Welten bewegen und der eigene Körper wird zum Eingabegerät. Wenn ich nach links schaue, bewegt sich das Bild am Monitor mit der selben Bewegung nach links. Aber was bleibt übrig, wenn dieser Novilitäts-Faktor abgeklungen ist? Ein ähnliches Schicksal haben wir schon mehrfach am Konsolen-Markt gesehen: Nach dem Rockband/Guitar Hero-Hype versaubten auf der ganzen Welt die Plastik-Instrumente. XBox Kinect war ein nettes Spielzeug aber langfristig wurden die Funktionen von den Konsumenten nicht angenommen. Wozu auch, schließlich gab es kaum Spiele, die Kinect unterstützten und deshalb wurden keine Spiele entwickelt, die Kinect unterstützten. Ein Teufelskreis, der sich beim Nachfolger im XBox One-Design wiederholt. Immerhin ist hier die Peripherie schon inkludiert, was uns zum nächsten Problem bringt.

Es funktioniert nicht selbstständig. Gut, jetzt hat man sich für den Kauf einer VR-Brille entschieden. Ohne einen adäquaten Rechner wird das aber nichts mit der virtuellen Realität. Die Hardware-Voraussetzungen sind zwar nicht astronomisch aber dennoch vorhanden. Zusätzlich zum Kaufpreis der Brille kommen etwa 1.000 Euro Kosten auf den Konsumenten zu, falls kein passender Rechner vorhanden ist. Das kann frustrierend werden: Wenn die Brille gekauft wird und der heimische Rechner nicht die passende Rechenpower bietet, ist Ärger vorprogrammiert. Für viele Konsumenten ist das abschreckend. Nicht jeder hat ein Geek-Herz, das beim Gedanken an Hardwarebasteln und Treiber-Optimierung höher schlägt - oft ist simple Hardware besser. Die Spielekonsole soll frisch aus der Packung funktionieren, das Tablet sofort einsatzfähig sein. Wenn die Brille zum PC oder vice versa erst zusätzlich gekauft werden müssen, steigt die Einstiegshürde enorm.

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DIE ZUKUUUUNFT!!!!

Die Brillen sind richtig teuer. Mit 600 Euro für eine Ocolus Rift und sogar 900 Euro für eine HTC Vive (Lieferkosten von 60 Euro nicht mit einbegriffen) ist der Kostenpunkt für die Geräte nicht wirklich massentauglich. Das mag bei uns bedeuten, dass man bei uns die Geräte nur hier und da sieht. Global hat das allerdings andere Signifikanz: Durch hohe Investitionskosten wird es weniger Konsumenten geben, die das Produkt kaufen. In Europa, den USA und ähnlich wohlhabenden Gebieten wird sicher eine akzeptable Verbreitung der Technologie erreicht, in ärmeren Ländern werden die Verkaufszahlen allerdings verschwindend gering sein. Zum Beispiel Russland wird hier mit Sicherheit leer ausgehen. Das bedeutet für die Entwickler, dass weniger Benutzer ihre Software kaufen werden, weshalb die Investitionen in besagte Software niedriger ausfallen werden. Für Spiele heißt das, dass wir keine AAA-Titel erwarten dürfen, weil es sich für die Studios und Publisher einfach nicht auszahlt.

Die nächste Generation wird nicht viel besser. Zumindest stehen die Zeichen nicht in die Richtung. Ich könnte mich auch massiv irren - ich hoffe es sogar. Aber aktuell klopft die erste Generation an der Tür des Marktes wie ein Zeuge Jehowas, der die Geeks mit ihrer zweidimensionalen Peripherie für virtuelle Realität missionieren möchte. Vermutlich wird ein Großteil der Leute in beiden Fällen gleich reagieren und die Missionare abblitzen lassen. Währenddessen wird an der Technologie hinter den Brillen weiterentwickelt und in spätestens zwei Jahren dürfte die Version 2.0 in den (digitalen) Regalen stehen. Bloß werden die noch immer die selben Probleme haben wie ihre Vorgänger. Der Hype-Zug ist abgefahren, es wird noch immer keine interessante Software geben weil sich zu wenig Konsumenten die Brillen gekauft haben, man braucht noch immer einen Computer für die Verwendung und die Kosten werden immer noch im oberen Preissegment sein. Selbst, wenn die Hardware verbessert wurde und die Software einen Batzen Updates erhält, haben wir es grundlegend mit dem selben Produkt zu tun - und das schafft zwar zu begeistern, aber nicht zu überzeugen.

So gerne ich auch richtig liege, so sehr hoffe ich, dass das dieses Mal nicht der Fall ist. VR-Brillen sind eine an sich revolutionäre Technologie, die nach der peinlichen Phase in den 90ern jetzt endlich Realität werden könnte. Bloß sind die Umgebungsbedingungen alles andere als günstig. Vielleicht schaffen sie ja doch noch die Kurve und wir werden Zeugen der nächsten Stufe der bildgebenden Peripherie. Nur leider sieht es einfach nicht danach aus. Spätestens, wenn ihr das hier 2020 auf zwei kleinen Displays vor euren Augen lest, wisst ihr, dass karlstiefel mal wieder nur Blödsinn geschrieben hat.
Aber wie seht ihr das? Haben VR-Brillen noch eine Zukunft oder ist der Zug abgefahren?

Intro-Bild von fill via pixabay, verwendet unter Creative Commons Lizenz.
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