"Christmas - the time to fix the computers of your loved ones" « Lord Wyrm

In Your Face Friday - Hochkantfilmer

karlstiefel 09.01.2015 14223 13
Links ein schwarzer Balken, rechts dessen Zwillingsbruder. In der Mitte ein Video, das mit einem hochkant gehaltenen Handy für einen querformatigen Bildschirm gefilmt wurde. Beim Filmen für YouTube ist die Kamera an und das Hirn anscheinend aus. Aber wie kam es dazu, dass ein solcher Unterschied bei den Bildschirmen überhaupt entstehen konnte? Schauen wir uns die Geschichte von Seitenverhältnissen, großen Leinwänden und kleinen Displays an.

Meine Güte, nervt das! Da steht so ein 13-jähriger Kevin bei einem Konzert und streckt seinen Arm mitsamt Handy in die Höhe. Das Resultat wird er im falschen Seitenverhältnis auf YouTube hochladen, wo es vielleicht acht Leute sehen werden. Wenn die Glück haben, hat er es davor gedreht, damit das Bild nicht auf der Seite liegt. Falls ihr ein solches Szenario erleben solltet, zeigt den Leuten bitte einfach diesen IYFF, vielleicht lassen sie sich ja bekehren. Denn hochkant für ein querformatiges Display zu filmen gleicht einem 5er beim Fail-Test.
Schauen wir uns beide Geräte - den Bildschirm und das Handy - unter ergonomischen Gesichtspunkten an. Als der Film im späten 20. Jahrhundert entwickelt (grandioses Wortspiel) wurde, war William Kennedy Dickson eine treibende Kraft dahinter. In Zusammenarbeit mit Thomas Edison entwickelte er das Kinetoskop, eine Film-Box, die gegen Einwurf einer Münze einen kurzen Film zeigte. Aufgezeichnet wurden die Filme mit dem Kinetographen, eine der ersten Filmkameras. Bereits die ersten Filme hatten ein Seitenverhältnis von 4:3, einem Format, welches uns lange erhalten bleiben sollte. Warum die auf 35mm-Film aufgenommenen Bilder diese Größe hatten oder warum sie quer aufgenommen wurden, wurde nie ganz geklärt. Eine gängige These ist, dass bei großen Bildern das Querformat angenehmer ist, da unsere Augen schließlich nebeneinander und nicht übereinander liegen. Außer wir liegen selber aber der Liege-Film hat sich nur bei müden Freundinnen durchgesetzt.

Apropos: Bald setzte sich das Format jedoch durch, ab 1909 wurde es zum Standard der noch jungen Filmindustrie. Knapp 20 Jahre später wurde der Tonfilm modern, auf die Filmrollen wurde die Tonspur gespielt. Das brauchte einen kleinen Streifen auf der rechten Seite der Filmrolle, weshalb das Bild etwas an Breite verlor. Das grundsätzliche 4:3 Seitenverhältnis blieb jedoch erhalten - wenn auch als 3,9:3. Das gefiel den Studios jedoch nicht, weshalb 1932 der "Academy Ratio" eingeführt wurde. Bei diesem hatte das Bild auf der Filmrolle oben und unten einen schwarzen Balken. So wurde mit einer anderen Einstellung bei den Kinoprojektoren das 4:3-Verhältnis wiederhergestellt. Rund um diese Zeit fanden auch die ersten Fernseher ihren Weg in die Wohnzimmer. Die Röhrenmonitore behielten das vom Film vorgegebene Format bei. Das Fernsehen entpuppte sich als starke Konkurrenz für seinen großen Bruder. Das Kino musste sich etwas einfallen lassen, um nicht unterzugehen. Seit den 50ern wurden daher die Leinwände wesentlich breiter. Mit einem Seitenverhältnis von 2,59:1, einer gebogenen Leinwand und mehreren aktiven Projektoren wurde Cinerama, das erste Widescreen-Format eingeführt. Wirklich durchgesetzt hat sich das Format jedoch nicht, viele Studios produzierten aus finanziellen Gründen weiter mit ihrem alten Equipment, die Kinobesucher erhielten zum Film zwei schwarze Balken am Rand. Als Reaktion darauf wurde die Leinwand wieder flach, das Format wurde auf 1,66:1 geändert und ein Stereo-Soundtrack auf die Filmrolle gebracht. So hatten auch kleine Studios die Möglichkeit, für diese Art von Kinoleinwand zu produzieren.

Danke Glove and Boots für diese Information.

Das Kult-Studio 20th Century Fox hat mit dem CinemaScope-Bild zur Vereinfachung des Filmens stark beigetragen. Mit dem System konnten Widescreen-Bilder auf einem 4:3-Film aufgenommen und später mit dem Projektor zu einem sehr breiten 2,35:1-Bild entzerrt werden. Die Paramount-Studios hatten einen anderen Lösungsansatz: Statt den Film vertikal durch den Projektor laufen zu lassen wie üblich, lief er bei VistaVision horizontal. Mit den größeren Bildern auf der Filmrolle wurde ein wesentlich klareres Bild auf der Leinwand erzeugt. Die Größe des Filmes wurde in den 60ern ein Thema - damals wurde für ein besseres Bild vom 35mm zum 70mm-Film gewechselt. Dank dieser Entwicklung konnte das IMAX-Format (1,36:1) mit seinen riesigen Leinwänden realisiert werden.
Wo kommt nun das Format unserer Bildschirme und HD-Fernseher ins Spiel? Seit den späten 80er Jahren wurde am HDTV-Standard gearbeitet. Für diesen wurde ein Mittelding zwischen dem "alten Fernsehen" mit 4:3 und dem 2,35:1 von CineScope gewählt: das 16:9-Format.

Nach diesem historischen Streifzug geht es zum Handy. Auch hier orientiert man sich mittlerweile am großen Bruder. Verständlich, sollen doch Inhalte wie Fotos oder Videos unabhängig vom Gerät wiedergegeben werden können. Da macht eine Formatgleichheit nur Sinn. Einen großen Unterschied gibt es aber: Wir halten das Handy anders. Das kommt von der Entwicklung - früher (tm), also vor technisch gesehen unendlich weit entfernten 10 Jahren - waren "Nur-Display-Handys" noch nicht in jedermanns Hosentasche. Währen auf dem oberen Teil des Gerätes ein Display war, fand man darunter ein Tastenfeld. Dieses wurde mittlerweile digitalisiert, höchstens ein paar mechanische Knöpfe erinnern an die verschwundene Tastatur. Durch das alte Design hat sich eine gewisse Ergonomie eingebürgert, die von Smartphones weitergeführt wird. Das ist auch durchaus sinnvoll: Ein Hochkant-Handy kann (sofern es nicht zu groß ist) mit einer Hand bedient werden. Der Daumen kommt zum Großteil des Displays, das User-Interface von Apps ist meistens im unteren Teil des Bildschirms angebracht.

Somit hat der Hochkant-Bildschirm durchaus eine Daseinsberechtigung, zumal man das Smartphone bei vielen Apps auch auf die Seite drehen kann. So lassen sich größere Tastaturen, richtig gefilmte Videos und horizontale Fotos auf dem Display darstellen, ohne dessen ohnehin eingeschränkten Platz mit schwarzen Balken zu verschwenden. Dennoch ist es einfacher, das Handy "normal" - also vertikal - mit einer Hand zu halten. Da man für den Erwerb eines Mobiltelefons aber keine Ausbildung als Regisseur oder Kameramann braucht, wird das Gerät beim Filmen aus Gemütlichkeit leider oft falsch gehalten. Mit der Kamera als Standard-Feature jedes Handys wurde der Weg für Selfie-Enthusiasten und Essens-Fotografierer geebnet. Dank der steigenden Qualität der Videofunktion und dem wachsenden Speicherplatz sowie der einfachen Upload-Möglichkeiten wurden Amateur-Videos auf YouTube und für Leute ohne jegliche Aufmerksamkeitsspanne auch Vines quasi ein Kinderspiel. Es gibt also Hochkantfilmer weil es einfach ist und Unfähigkeit immer einen Weg findet. Aber vielleicht starten die wenig talentierten Filmer auch nur eine Bewegung gegen die starre Ausrichtung von Bildschirmen, die uns seit über 100 Jahren bereits diktiert wird. Die nächsten Herr der Ringe Verfilmungen sind dann nicht nur in 3D und mit 60 Bildern pro Sekunde, sondern auch hochkant. Nackenstarre, wir kommen.

click to enlarge
Damit es auch wirklich ALLE verstehen.
Kontakt | Unser Forum | Über overclockers.at | Impressum | Datenschutz