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In Your Face Friday - Hypertext

karlstiefel 06.09.2013 14061 7
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Medienkritik ist ein wahrer Dauerbrenner. In diesem In Your Face Friday soll es aber nicht um Gewalt in Computerspielen, obszöne Liedertexte oder nackte Haut im Film gehen. Wir suchen uns einen schwierigeren Sündenbock für die aktive Volksverblödung: die Schrift. Damit kommen wir aber zwischen die Fronten von antiken Philosophen und dem Internet.

Platon. Schon wieder. Den hatten wir doch schon mal. Dieses Mal wird ihm jedoch kein Nebensatz gewidmet, sondern ein ganzer In Your Face Friday. Moment, Moment, nicht gleich den Browser schließen und denken “Was schreibt denn karlstiefel jetzt schon wieder für einen abgehobenen Schmafu?” Das Ganze hat nämlich was mit dem Internet zu tun, ehrlich. Ihr mögt doch Internet.
Der gute Platon mochte nämlich die Schrift nicht besonders. Er machte das geschriebene Wort nämlich für die Banalisierung seines Berufsstandes verantwortlich. Das machte er in einem Dialog mit seinem Freund und Mitphilosophen Phaidros deutlich. Gleich mehrere Punkte störten ihn an der Idee, seine Ideen niederzuschreiben. Schrift gibt nur Wissen wieder und vermehrt dieses nicht, sie ist nur ein lebloses Abbild einer lebenden Sprache, sie kann sich den Empfänger nicht aussuchen, sie kann nicht Frage und Antwort stehen und außerdem wird man vergesslich, wenn man alles aufschreibt. Als Fazit dieser vernichtenden Kritik beschloss Platon, weder diesen Dialog, noch den Großteil seiner restlichen Gedankengänge zu Papier zu bringen. Das war etwa 370 Jahre vor unserer Zeitrechnung. Damals hatte er jedoch die Rechnung ohne Arethas von Caesarea gemacht - einem griechischen Erzbischhof, der im Jahr 895 (also über ein Jahrtausend später) den bis dahin mündlich übertragenen Dialog doch niederschrieb. In Your Face, Platon!

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Die Niederschrift von Platons Gedanken, verfasst von Arethas von Caesarea (hier mit seinem Heiligen-Bro Sankt Eustratius).


Nun zum versprochenen Internet. Über das würde sich der antike Grieche nämlich ärgern. Nicht weil wieder nur Reposts auf 9gag sind, sondern weil seine schöne Theorie dadurch widerlegt werden könnte. Gehen wir die Punkte mal durch: Schrift vermehrt kein Wissen. Das wäre wahr, würde es nicht den Hyperlink geben. Jedes blau gefärbte Wort bietet eine weitere Seite, nur einen Mausklick entfernt. Sie ist ein lebloses Bild einer lebenden Sprache - so könnte man meinen, wäre quasi die ganze Wikipedia nicht im Wandel. Infos werden ergänzt, Formulierungen geändert und Details editiert. Das mag bei nicht jedem Artikel der Fall sein, doch ist hier ein ständiger Fluss im Gange. Die Schrift kann sich den Empfänger nicht aussuchen, außer man Mailt sich halt. Gut, die NSA liest auch hier mit, also der Punkt geht so halb an Platon. Wenn man sich Facebook so ansieht merkt man ohnehin, dass die Schrift sich den Empfänger garnicht aussuchen möchte. Hauptsache, möglichst viele Leute lesen die Beiträge und klicken “Like”. Den Text kann man nicht fragen … bloß kann man das beim Chat halt schon. Egal ob im Forum, via Skype oder per SMS - Schrift wurde für uns zu einem Werkzeug, um mit anderen Menschen in den Dialog zu treten.
Was wir hier sehen, ist ein fundamentaler Wandel des Mediums. Durch den technischen Fortschritt wurde es von einem vorwiegenden Speichermedium zu einem Kommunikationsmedium. Zwar werden dafür noch immer die selben Grundlagen verwendet wie vor über 2000 Jahren, doch hat sich hinter der Fassade so einiges getan. Es wird nicht mehr nur gespeichert, übertragen und vermittelt - es wird kommuniziert. Wie es aussieht, hat das digitale Medium somit den alten Griechen entwaffnet. Die Feder schlägt halt nicht nur das Schwert, sondern auch die spitze Zunge des Philosophen. Ich bin mir sicher, dass Platon meinen jämmerlichen Versuch, seine Argumente zu entkräften im Handumdrehen selbst in der Luft zerreißen würde. Bloß kann man leider nicht ihn, sondern nur einen nicht von ihm verfassten Text befragen - und der ist nicht sehr redseelig ...

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Ähnlich wie eine Nervenzelle die Informationen durch den Körper sendet, verknüpft das Internet Wissen - und ändert somit die Medien, aus denen es besteht.
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