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In Your Face Friday - Her mit den Heugabeln

karlstiefel 05.02.2016 18887 14
<div class="previewimage content"></div>Auf dem YouTube-Kanal der Fine Brothers reagieren Kinder, Teenager und Senioren auf Medien, Technologie und Trends. Eigentlich ein netter Realitätsabgleich - bis es zum Sichern und erweitern der Marke "React" kommt. Dann dreht das Internet durch, Hass wird zur Freizeitbeschäftigung und ein digitaler Hetzmob formt sich. Irgendwo zwischen berechtigter Kritik und purer Schadenfreude zeigt sich, was digitale Gemeinschaften leider zu gut können: Etwas ganz und garnicht mögen.

Es ist ein "guilty pleasure" meinerseits: YouTube-Videos von Kanälen wie BuzzFeed (die sind nicht schlecht, ehrlich!) oder den Fine Brothers. Die wollten mit ihrem Studio die "React World" starten und international loslegen. Soll heißen: "React" auf unterschiedlichen Sprachen, weltweit. Das ging ordentlich nach hinten los und jetzt hasst sie das Internet. Grund dafür war der Versuch, das Format "Personengruppe reagiert auf X" sowie die passende Bezeichnung "React" markenrechtlich zu sichern. Es wirkte wie ein überheblicher Versuch, ein Monopol auf eine Unterhaltungsform zu erstellen. Tatsächlich hat die Produktionsfirma in zumindest zwei nachgewiesenen Fällen geklagt, weil jemand ein ähnliches Format veröffentlicht hat. Das mag sie unsympathisch machen, die "React World" hätte sie global unsympathisch gemacht. Einige wütende und laute Individuen im Internet - also das Internet - ging daraufhin auf die Barrikaden. Die Reaktion (haha) auf die Pläne des Studios reichten von Spott über Verachtung bis hin zu blankem Hass. Zugegeben - einige Leute, darunter sogar Anwälte, haben sich in konstruktiver Kritik geübt und sind gegen die Copyright-Versuche vorgegangen ohne den Fine Brothers oder ihren Angestellten persönlich schaden zu wollen. Der allgemeine Tenor hatte aber aber den Tonfall "LYNCHT SIE!!!". Die Hass-Kommentare auf Reddit waren zahlreich und Fantasievoll und YouTube ist durchgedreht. Wenn man nach den Fine Brothers sucht, findet man spottenden Videos noch und nöcher. Die Reaktion der beiden darauf war ein Versuch, das Ganze zu erklären. "Ihr werdet weiter solche Videos machen können", hieß es sowie "Stellt euch das Ganze wie ein Burgerking-Restaurant vor. Das ist eine Marke aber es gibt noch andere Burger-Läden." Das war nur weiteres Öl ins Shitstorm-Feuer. Ein Gesichtsausdruck in dem Video reichte sogar als Beweis für manche Kritiker, um die Entschuldigung als bloße Farce zu sehen.
Nur vier Tage nach der ersten Ankündigung haben die Fine Brothers dann die Notbremse gezogen: React World wurde vor dem Start eingestellt, alle Anträge auf Markenrecht wurden zurückgezogen und alle Sperren von YouTube-Videos wurden nachträglich beendet. "Wir hoffen, dass unser Handeln ein deutliches Zeichen setzt", hieß es in einem Statement der beiden. Aber selbst eine 180-Grad-Wende kann einen Hate-Train in voller Geschwindigkeit nicht bremsen. Es gab Live-Feeds zu den stätig sinkenden Abonenten-Zahlen des YouTube-Kanals, bei denen bereits das Ende der Fine Brothers prophezeit wurde. Obwohl sie tatsächlich einige tausend Zuschauer weniger haben, sind noch immer über 13 Millionen Subscriber übrig.

Bei uns wäre es wohl "Senioren reagieren auf Tatort".

Als mündige Netzbürger können wir uns anhand dieses abgeschlossenen Beispiels fragen, was wir dadurch über Hass im Internet lernen können. Was es für einen ordentlichen Stufe-5-Shitstorm braucht, ist zunächst ein Grund, ein Katalysator. Der sollte im Idealfall von jemandem geliefert werden, der eine gewisse Fallhöhe hat. Eine Firma, ein Prominenter oder wie im geschilderten Fall ein YouTube-Kanal mit über 13 Millionen Abonenten. Der gelieferte Grund muss für eine breite Masse einen Nachteil beinhalten - möge der nun moralischer, kreativer oder wirtschaftlicher Natur sein. Das haben wir vor kurzem mit dem Pharma-Spekulanten gehabt, der den Preis eines AIDS-Medikaments von unter 15 Dollar auf über 750 Dollar erhöht hat. Als der Schnösel dann auch noch das Wu Tang Clan-Album "One upon a time in Shaolin" - von dem es nur ein Exemplar gibt - mit der Aussage erworben hat, dass niemand außer er es jemals hören wird, explodierte das Internet endgültig. Mittlerweile ist diese Zielscheibe des Hasses in Haft - wegen Spekulationsgeschäften, nicht weil er so unglaublich asozial ist. Was er und die Gebrüder Fine geliefert haben war Angriffsfläche: Eine Person in der Öffentlichkeit mit einem Produkt. Beides kann angegriffen, boykottiert, sogar sabotiert werden. Dabei geht es selten mehr um berechtigte Kritik, sondern um ein Ventil für Frust, Hass und Schadenfreude. Durch eine Gruppenmentalität wird das Ganze beschleunigt: Wir mögen etwas nicht, sehen die Reaktion unseres gleichgesinnten Umfeldes und stimmen in den Kanon ein. Die Allgegenwärtigkeit des Themas in gewissen Blasen (wie Reddit oder YouTube mit den richtigen Abos) fördert das noch weiter. So kann ein "find ich doof" zu einem "haut ihnen in die Fresse" hochgeschaukelt werden. Auch wenn es einen ursprünglichen Grund für die Feindseligkeit gibt, kann die Reaktion so überspitzt werden. Wenn gefühlt jeder das Opfer attackiert, fühlt man sich bestätigt und kann sogar ohne schlechtes Gewissen mitmachen. Dass man eigentlich ziemlich verroht ist und es sich am Ende des Tages um Menschen handelt, wird ausgeblendet. Nun ist der Medikamente-Wucherer mit Sicherheit einfach Gewissenlos und basierend auf den Standards unserer Gesellschaft "böse" - die Fine Brothers haben sich aber nicht so weit aus dem Fenster gelehnt. Dennoch sind sie mit Hass und Verachtung abgestraft worden.
Es ist einfach, Kritik im Internet zu üben. Man ist anonym, man muss nicht die Reaktion der Kritisierten ertragen, man hat ein Publikum und nächste Woche ist eh alles vergessen. Leider kann so ein Shitstorm unangenehme Formen annehmen, wenn dem Großteil der Windmaschinen die Konsequenzen gleich sind. Im Endeffekt beweist der Fall mal wieder, dass die Diskussionskultur unter der Anonymität des Internets leidet. Wenn man konsequenzfrei ungut sein kann, ist man das auch. Uns bleibt da nur eines zu tun: beweisen, dass es auch anders geht. Halten wir also overclockers.at leiwand und erinnern wir uns selbst dann, wenn jemand etwas richtig dummes macht daran, dass immer eine Person hinter dem Account steckt. Und deppad kann man ja mal sein, da müssen nicht andere nachhelfen und die eigene Leistung toppen.

Titelbild: Mykola Pymonenko - Жертва фанатизму
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