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In Your Face Friday - Ewig und noch ein Tag

karlstiefel 19.08.2016 17930 4
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Zwischen 80 und 100 Jahren - ein ausgedehntes Menschenleben also - liegt die Haltbarkeit von CDs und SSD-Festplatten. Im Testament sollte man also auf eine Sicherheitskopie bestehen. Vielleicht wird das aber bald nicht mehr notwendig sein, Internet sei Dank. Doch selbst, wenn es egal wird, wo die Daten gespeichert sind, kann noch immer viel verloren gehen. Ein Blick auf die eigentliche Definition von "Medien" zeigt, wie super-langfristige Lösungen angelegt werden müssen. Bloß stoßen wir auch dabei auf ein Problem, welches wir vielleicht nicht so schnell los werden.

Steuern - so hat unsere Geschichte angefangen. Toll. Als vor 5.300 Jahren die moderne Schrift erfunden wurde, wurden Symbole zu Buchstaben, der Keilschrift. Eine Erfindung, die das Teilen komplexer Informationen einfacher machte und den "Faktor Mensch" für das Speichern entfernte. Seither gibt es "Geschichte". Zeug passiert, jemand schreibt es auf. Ideen und Konzepte werden festgehalten. Namen und Taten bleiben erhalten. Im Laufe der Jahre - und davon sind ja mittlerweile einige ins Land gezogen - haben sich die Medien zum Speichern solcher Informationen verändert. Da ein IYFF etwas schwer in eine Steintafel zu meißeln ist, bevorzuge ich zum Beispiel das Schreiben auf einem Computer. Und obwohl es dank 3D-Drucker gehen würde, die Weitergabe einer solchen Tafel via Internet ist entsprechend unpraktisch. Daher gehe ich davon aus, dass ihr ein entsprechend zeitgemäßes Wiedergabegerät verwenden werdet.
Jedes Medium hat drei Kern-Aufgaben: Speichern, Editieren, Weitergeben. Ersteres ist mit Steintafeln relativ einfach. Vorausgesetzt, der richtige Stein wird gewählt, kann das Festgehaltene Jahrhunderte, sogar Jahrtausende überdauern. Das mit dem Editieren ist hingegen ein bisschen ein Problem und die Weitergabe großer Datenmengen in Granit ist ... herausfordernd. Eine Variation dieser Probleme ergibt sich bei jedem physikalischen Medium: Papier wird brüchig und Tinte verblasst, genau wie Fotos, Schallplatten und CDs sind Korrosion ausgesetzt, Zelluloidfilm zerbröselt auch irgendwann. Die physikalische Existenz der Daten selbst ist zum Zerfall verdammt, die Informationen darauf verfallen für alle Zeiten. Die naheliegendste Lösung für dieses Problem ist es, die Körperlichkeit von Daten zu entfernen. Statt die 1er und 0er irgendwo örtlich zu binden, sind sie einfach überall und wenn sie gebraucht werden dort, wo sie eben gebraucht werden. Klingt das vertraut? Willkommen in der Cloud. Durch das Internet und die Vernetzung von Datenströmen werden Informationen nicht mehr auf zerfallenden Plastikscheiben gespeichert, sondern in groß angelegten Datenzentren gesammelt. Selbst wenn eines davon das Opfer eines Totalausfalls wird, kann durch redundante Systeme das gespeicherte Wissen erhalten bleiben. Wenn dieses System weit genug optimiert wird, könnten wir es mit einem historischen Konzept zu tun haben. Stellt euch vor, dass nie wieder Informationen verloren gehen. Ja - eure gesamter peinlicher Browser-Verlauf könnte von Historikern des Jahres 2516 analysiert werden. So habt ihr euch Unsterblichkeit sicherlich nicht vorgestellt. Auf jeden Fall könnte die Geschichte selbst eine höhere Auflösung kriegen, wenn Daten nie wieder verloren gehen.

Beim Besuch im Flipper-Museum (ab 2:50) zeigt sich, wie schwer es ist, manche Unterhaltungsmedien zu konservieren.

Aber halt - so geil das auch klingt, so weit sind wir noch davon entfernt. Weil unsterblich sind unsere Daten noch lange nicht. Denn selbst, wenn die Festplatten wieder und wieder fehlerfrei überspielt werden, reicht das nicht. Wiedergabegeräte, Hardware und Peripherie ändern sich. Wie sollen zum Beispiel 3D-Filme erhalten bleiben, wenn die dazugehörige Technologie in Zukunft nicht mehr genutzt wird? Wie wollen wir Spiele für VR-Brillen zocken, wenn es doch nur ein Trend bleibt? Selbst, wenn die Inhalte repliziert werden können, sind sie doch oft nicht wirklich authentisch. Mit einem Emulator lassen sich erstaunlich einfach Spielhallen-Klassiker oder Gameboy-Spiele auf dem PC, dem Tablet oder dem Smartphone zocken. Doch weder die Joysticks und großen Knöpfe, noch das monochrome Display des grauen Handhelts lassen sich damit wirklich wiedergeben. Zwar läuft das Spiel, das dazugehörige Erlebnis wird jedoch verwässert.
Gegebenenfalls, die Wiedergabe stellt kein Problem dar, heißt das aber noch lange nicht, dass wir die Inhalte auch tatsächlich verstehen. Denn Kultur, die durch Medien ihren jeweils zeitgemäßen Ausdruck findet, ändert sich. So ist die Hauptaufgabe von Medienhistorikern, einen Kontext zu schaffen. Griechische Tragödie schön und gut - der gesellschaftliche Rahmen, die popkulturellen Anspielungen von damals, fehlen aber. Ein Schicksal, welches unsere Klassiker mit denen der alten Griechen teilen werden. Der Mensch selbst wird somit zur Bruchstelle - wenn wir Inhalte nicht mehr einordnen können, ist das langlebigste Medium nutzlos. Wenn wir also unseren Nachfahren die Musik, Filme, Games, Bücher, Streams, Fotos und Bühnenstücke von heute mitgeben möchten, müssen wir uns etwas Großes überlegen. Eine Zukunftssicherung von dem unzähligen Wissen, welches wir aktuell aufzeichnen. Eine Mammutaufgabe, der wir vielleicht erst ein einigen Jahrzehnten gewachsen sein werden. Vieles, was bis dahin an Information generiert wird, wird mit Sicherheit verloren gehen. Also - haltet euch mit euren Geniestreichen bitte noch zurück, bis das Problem gelöst ist. Ich bereite mich gerade selbst darauf vor, immerhin darf ich wenn es so weit ist sämtliche IYFFs nochmal abtippen. Mit Glück muss ich sie aber nicht in Stein meißeln...

Intro-Bild: Sharon Mollerus, verwendet unter Creative Commons Lizenz.
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