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In Your Face Friday - Monster der Woche

karlstiefel 02.09.2016 15008 6
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Aliens, Werwölfe und Zombies. Oder wahlweise auch seltene Krankheiten, Kriminalfälle oder ein neuer Planet. Serien können in jeder Folge ein anderes Thema behandeln. Den Gegentrend - ewig lange laufende Seifenopern mit jahrelangen Geschichten - gibt es schon länger. In den vergangenen Jahren hat die Serienlandschaft aber eine neue Formel gefunden, die weg von der verpflichtenden Sensation pro Folge und den unendlichen Storybögen geht. Eine neue Welle von Erfolgsrezepten dieser Art wäre aber nicht ohne technische Neuheiten und geänderte Konsumgewohnheiten möglich gewesen. Schauen wir also, was aktuell so läuft.

Manchmal muss es einfach ein Klassiker sein. Star Trek: The Next Generation zum Beispiel. Wenn ich eine Folge lang Unterhaltung haben möchte, dann ist TNG wie eine buntes Sackerl an Science Fiction Süßigkeiten. Einfach reingreifen und eine rausholen, wird schon passen. Ein bisschen Jean Luc Picard, ein wenig Worf, dazu Leute mit lustigem Stirn-Makeup und heißer, schwarzer Kaffee, Junge. Mit ein wenig Glück/Pech erwischt man auch mal eine Doppelfolge, mit der damals die Staffeln beendet sowie begonnen wurden. Dann muss man ja quasi zwei schauen. Viel ärger ist das mit aktuellen Serien, die mittlerweile eine andere Struktur verfolgen. Egal, ob Game of Thrones, Daredevil oder The Walking Dead - viele Erfolgsserien haben mittlerweile ihren Schwerpunkt von abgeschlossenen Einzelfolgen auf große Storybögen verschoben. Ein "ich schau mal eine Folge" ist somit weder sinnvoll noch wirklich möglich. Natürlich kann man es machen aber dann hat man eben keinerlei Kontext. Andere Formate - ich denke hier an Beispiele wie Person of Interrest oder The Mentalist - alterieren hier. Es gibt zwar den "Fall der Woche", über eine Staffel hinweg wird jedoch ein Metaplot erzählt, zu dem einzelne Folgen beitragen. Ein Mischkonzept, das beide Ideen in einem Format vereint. Das mag mal besser funktionieren, mal scheinen die abgekapselten Folgen irrelevant oder die Hauptstory unpassend zu wirken. Insgesamt sind solche Serien immer noch im "Monster der Woche"-Gebiet unterwegs.
Auf jeden Fall hat sich die Serienlandschaft geändert - während vor 20 Jahren eher ultra-langfristige Projekte wie Seifenopern oder die "Monster der Woche"-Hits wie Akte X oder Buffy umgesetzt wurden, ist heute die Struktur etwas aufgebrochen. Große Narrationen mit Charakterentwicklung haben damals entweder 90 bis 100 Minuten im Film gedauert oder brauchten unzählige Staffeln. Mittlerweile konnten diese Elemente aus den beiden Strukturen befreit werden. Es gibt kein "entweder 90 oder 9.000 Minuten" mehr - ein Storybogen kann auch in 12 bis 24 Folgen untergebracht werden. Zuschauer müssen somit nicht mehr unzählige Stunden investieren um zum "aktuellen Stand der Dinge" zu kommen und kriegen mehr, ohne Jahre lang auf eine Fortsetzung des heißgeliebten Filmes warten zu müssen.

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Jede Woche ein neues Problem - das kommt mir doch bekannt vor...

Aber woher kommt dieser neue Schwerpunkt auf geschlossene Erzähl-Strukturen? Einerseits sind Sendeformate natürlich Trends unterworfen. Das "Monster der Woche" mag vielleicht längere Zeit funktionieren aber irgendwann gibt es dermaßen viele Formate nach dieser Formel und der Medienkatalog ist entsprechend voll. Zuschauer genießen dann frische Ideen, die Geschichten neu präsentieren. Der "Neuheits-Faktor" startet wiederum einen neuen Trend, der Nachahmer findet und der ganze Spaß geht wieder von vorne los. Es ist aber mehr dafür verantwortlich - nämlich die technische Entwicklung des Fernsehens. Damals (tm), vor 20 Jahren, hatte das Fernsehen noch eine gewisse Hoheit: Ein Mal die Woche gab es eine neue Folge von einer beliebigen Serie. So konnte mehrere Monate lang ein Sende-Slot gefüllt werden, die Zuschauer konnten jeweils eine Woche lang das Gesehene verdauen und darüber mit ihren Freunden abgeeken. Dementsprechend wurden die Serien auch gestaltet - so, dass man nicht den kompletten Kontext kennen musste, um das Gesehene auch zu genießen.
Heute schlägt der Poststrukturalismus wieder zu: Statt "dem Sendetermin" im Fernsehen gibt es Erstausstrahlungen, Mediatheken, legale Streaming-Dienste wie Netflix sowie mehr oder weniger illegale Streams. Dieses breitere Angebot weicht die altbackene Struktur auf und macht Platz für Neues. Wenn beispielsweise Netflix eine Serie veröffentlicht, dann passiert das nicht häppchenweise, sondern man kriegt ein ganzes Glotz-Buffet in Form einer kompletten Staffel. Die schaut man - abhängig vom Grad der Selbstkontrolle - schließlich am Stück oder mit einer eigenen Aufteilung. Eine solche geänderte Verfügbarkeit führt zu geänderten Konsumgewohnheiten, die wiederum andere Ansprüche an die Medien stellen. Beim Selbstversuch könnt ihr gerne mehrere Folgen von Grey's Anatomy oder Californication am Stück schauen. Diese liefern so konsumiert zwar den gewünschten Unterhaltungswert aber keine kohärente Erzählstruktur ab. Im Gegensatz dazu sind die Eigenproduktionen der Marke Netflix wie Stranger Days, Daredevil oder Narcos darauf ausgelegt, dass auch mehrere Folgen (oder Staffeln) am Stück geschaut werden können. Spannungsbögen werden anders aufgezogen, Charakterentwicklung wird viel gezielter angegangen und die Struktur arbeitet viel mehr auf ein Staffelfinale hin.
Wir haben es hier mit einer technikgetriebenen Diversifzierung des Unterhaltungs-Angebotes zu tun. Wenn wir noch immer ausschließlich "normal fernsehen" würden, gäbe es diese relativ neue Art des Storytellings nicht. Jetzt, durch Streaming ermöglicht, gesellt sie sich zu den bekannten Formaten hinzu und bereichert die Medienlandschaft.
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