"Christmas - the time to fix the computers of your loved ones" « Lord Wyrm

Der Crash von 83

karlstiefel 26.08.2011 27588 32
click to enlarge
Ein Horror-Szenario: Der komplette Zusammenbruch der westlichen Videospiele-Industrie. Unmöglich sagt ihr? 1983 ist aber genau das passiert. Wie und warum ein ganzer Arm der Unterhaltungsindustrie zusammenbrechen konnte und was wir daraus gelernt haben, lest ihr hier.

Die Unruhe vor dem Sturm



Ihr habt es vielleicht schon mitbekommen - ich liebe Videospiele! Außerdem bin ich auch noch so frei und nehme an, dass es vielen von euch genauso geht. Meine/unsere Generation ist mit Games aufgewachsen. Wir haben Spielhallen unsicher gemacht, unseren Freunden beim Spielen über die Schulter geschaut und erleben bis heute Abenteuer, die mit keinem anderen Medium möglich wären. Das war aber nicht immer so. Damit meine ich jetzt nicht die Zeit vor der Erfindung von Computerspielen, sondern das Zocker-Äquivalent zum Mittelalter: Den Crash von 83.

Fangen wir dort an, wo auch diese Industrie-Krise ihren Anfang genommen hat. Ende der 70er haben Computerspiele es längst in den Mainstream geschafft. Mit der Intellivision gab es die erste 16-Bit Konsole, die es der Konkurrenz schwer machen sollte. Mitbewerber gab es nämlich auch damals schon ausreichend. Im Zeitraum 1976 bis 83 waren nicht weniger als zehn neue Konsolen auf dem stark umkämpften Markt, darunter auch der Atari 2600. Entwickler-Legenden wie Richard Garriot unternahmen zu dieser Zeit ihre ersten Schritte. Den Machern der Spiele wurde es allerdings nicht leicht gemacht, denn so etwas wie einen Third-Party-Entwickler gibt es bis dahin noch nicht. Nur die Hersteller der Hardware besitzen auch das notwendige Know-How, um Titel für die jeweilige Plattform zu programmieren. Wer Spieleentwickler sein möchte, muss für Atari, Coleco und Mattel arbeiten. Undank ist der Welten Lohn, daher werden die Schöpfer nicht ein Mal in ihren eigenen Programmen erwähnt - das verbieten nämlich die Publisher.

Deshalb verewigte sich der Entwickler Warren Robinett im Atari Spiel "Adventure" mithilfe des ersten Easter Eggs der Spielegeschichte. Wer einen geheimen Raum fand, konnte den Namen des Coders lesen. Neben versteckten Botschaften sorgte diese Studio-Politik auch für Unmut unter den Angestellten. Immerhin sollte man doch zumindest namentlich erwähnt werden, wenn man an einem Medium mitwirkt. Das ist bei Autoren so, das ist bei Musikern der Fall und sogar der Kabelträger wird in den Film-Credits noch erwähnt. Warum wurden also die Entwickler damals nicht erwähnt? Ganz einfach: Deren Arbeitgeber hatten eine Vormachtstellung zu verteidigen. Wenn jemand gute Arbeit geleistet hatte und dessen Name in der Branche bekannt wurde, war die Chance hoch, dass er ein Angebot von der Konkurrenz bekam. Durch die Anonymität der Teams wurden diese also an der kurzen Leine gehalten – schließlich kann ja jeder behaupten, er habe am Hit des Vorjahres mitgearbeitet. Genau diese Einstellung sollte den Konsolen-Herstellern und Publishern allerdings später das Genick brechen ...

Warren Robinett - Erstes Easter Egg der Spielegeschichte
Das erste Easter Egg der Geschichte: Warren Robinett verewigte sich im Spiel "Adventure"


1979 sollten mehrere Programmierer Atari verlassen, um selbst ein kleines Entwickler-Studio zu gründen. Zu dieser Zeit eine absolute Neuheit in der Industrie. David Crane, Alan Miller, Larry Kaplan und Bob Whitehead verfolgten ihre eigene Vision, wie Spiele aussehen sollten. Wie sie ihr Studio nannten? Activision!

click to enlarge
Retro Style: Ein alter Activision Spielekatalog


Die erste Drittentwickler



Nun waren die vier Veteranen keine unbedeutenden Coder, sondern wahre Hit-Lieferanten. Die von ihnen mitgestalteten Spiele machten über die Hälfte aller von Atari verkauften Einheiten aus, ein übler Verlust also. Es folgten Klagen von beiden Seiten, denn damals war es noch nicht rechtlich geklärt, ob jemand überhaupt Spiele für eine „fremde“ Konsole machen durfte. Atari meinte, dass Fremdprodukte natürlich nicht erlaubt sein sollen – wie kommen denn andere Firmen dazu, an ihrem Produkt etwas zu verdienen? Activision setzte sich hingegen für die Freiheit des Marktes ein, schließlich war die Geschäftsidee der bisherigen Hersteller offensichtlich auf den Aufbau eines Monopols fokussiert. Drei Jahre später sollte es ein Gerichtsurteil geben, welches Drittentwicklern erlaubt, Spiele für ein fremdes System zu entwickeln. So gut dieses Urteil auch für die Konsumenten und sämtliche freien Entwickler war – es war in Wirklichkeit der Anfang vom Ende. Eine massive Welle von Industriespionage und Reverse-Engineering folgte, denn schließlich musste man ja herausfinden, wie für die entsprechenden Konsolen programmiert werden konnte. Außerdem gab es damals keine Qualitätskontrollen, einheitlichen Kennzeichnungen oder gar Kommunikation zwischen den neuen Studios und den Hardware-Herstellern. Pures Chaos also!

click to enlarge click to enlarge
Zwei der zehn Konsolen von damals: Der Atari 2600 und die Intellivision


Doch die Probleme mit der Software waren nur die halbe Miete. Auch bei der Hardware lag Einiges im Argen, denn zum Zeitraum der Krise gab es (wie bereits erwähnt) insgesamt zehn unterschiedliche Konsolen auf dem Markt und selbstverständlich war keine davon mit einer anderen kompatibel. Es mangelte an Übersicht und Transparenz und sowohl die Hersteller und Programmierer, als auch die Kunden waren mit der Marktsituation mehr als nur überfordert. Ist meine neue Konsole in einem Jahr noch aktuell und gibt es auch dann noch gute Spiele dafür? Taugen die Titel von dem Studio überhaupt etwas? Fragen über Fragen ...

Auch die Methoden der Spieleentwicklung waren damals der pure Wahnsinn. So etwas wie SDKs gab es noch ja lange nicht und auch eine Dokumentation wollten die Konsolen-Hersteller aus guten Gründen nicht herausgeben. Daher musste zwangsweise massives Reverse-Engineering betrieben werden. Dafür kaufte man eine beliebige Cartridge der Ziel-Konsole und zerlegte diese in ihre physikalischen und programmiertechnischen Einzelteile. Das war deshalb möglich, weil selbst größere Produktionen durch die technischen Begrenzungen sehr simpel gehalten werden mussten. Das sorgte natürlich für etwas, was wir heute als „Retro-Charme“ bezeichnen – die Umsetzung von Ideen trotz der begrenzten technischen Ressourcen. Gut waren die Endprodukte des Jahrgangs 82 allerdings trotzdem nicht wirklich. Traurige Höhepunkte des Crashs waren die Titel E.T. Der Außerirdische und die Atari-Umsetzung von Pac-Man. Letzteres war die Adaption des Arcade-Hits für die Heimkonsole. Dabei wurde jedoch nur das Prinzip schlampig umgesetzt und der Grafikstil dürftig kopiert. Insgesamt war es eine mittelmäßige Portierung, doch das war nicht der Grund des Scheiterns. Atari ließ 12 Millionen Stück des Spieles für das Weihnachtsgeschäft produzieren – bei etwa 10 Millionen verkauften Atari Konsolen. Der Titel wurde kein System-Seller – lediglich 7 Millionen Stück, also etwas mehr als die Hälfte wurde verkauft. E.T. konnte diesen Flop sogar noch toppen und gilt bis heute noch als eines der schlechtesten Spiele aller Zeiten. Das hatte auch einen guten Grund: Es musste in nur 5 Wochen erstellt werden - vom Erhalten des Auftrages bis zur fertigen Abgabe. Hier muss VIEL Kaffee im Spiel gewesen sein. Das Endprodukt war vernichtend schlecht und lag dementsprechend wie Blei in den Regalen. 5 Millionen Einheiten wurden produziert, nur 1,5 Millionen Stück gingen davon über die Ladentheke. Der Einzelhandel reagierte schnell und schickte diese beiden Schandflecken, sowie zahlreiche andere potenzielle Fehlkäufe wieder zu den Herstellern zurück.

click to enlarge click to enlarge
Wer zu Weihnachten 83 das hier unter dem Christbaum fand, hatte wohl nur wenig Spaß.


Alamogordo, New Mexico



Was sollte Atari nun mit über 8 Millionen Cartridges machen, die sich ums Verrecken nicht an den Zocker bringen konnten? In einer Nacht-und-Nebel-Aktion fuhren mehrere Lastwagen voller schlechter Spiele nach Alamogordo in New Mexico. Ihr Ziel: Die Mülldeponie am Stadtrand. Diese wurde am 28. September 1983 um einen riesigen Haufen Plastik und Platinen bereichert. Atari warf die Spiele schlicht und einfach weg. Einen Tag später wurde Beton über die Cartridges gegossen, damit sie nie wieder einen enttäuschten Besitzer finden sollten. Bis Anfang der 90er wurde dieses Begräbnis von Atari oft geleugnet und blieb deshalb lange eine "Urban Legend". Offizielle Stellen sagen bis heute, dass nicht alle der unverkauften Titel so ihr Ende fanden, sondern viele davon für neue Spiele wiederaufbereitet werden konnten. Ob das stimmt? Nun, ein Wochenende mit Presslufthammer und Atemschutzmaske bei Alamogordo, New Mexico sollte diese Frage klären. Freiwillige?

click to enlarge click to enlarge
Ob hier wirklich mehrere Millionen Atari-Spiele vergraben liegen? Etwas wurde hier auf jeden Fall entsorgt ...


Derartige Misserfolge forderten ihre Opfer. Entwickler verschwanden so schnell, wie sie aufgetaucht waren und Industriegrößen wie Magnavox oder Coleco zogen sich komplett aus der Videokonsolen-Branche zurück. Eine ganze Serie von Pleiten lähmte den Markt vollständig. Für den Westen sah es aus, als wären Videospiele nur ein Trend gewesen, der nun sein jähes Ende gefunden hatte. Ein Vakuum entstand, als das Angebot der elektronischen Unterhaltungsindustrie gegen null sank. Spielzeug ersetzte die Konsolen in den Regalen, Verkäufer wollten von Games nichts mehr wissen ... auf gut Deutsch: Der Crash war vollbracht.

Der Weg zurück aka Nintendo



Das bekam auch Nintendo zu spüren, die 1977 schon mit dem Color TV Game (eigentlich eine lizenzierte Version der Magnavox Odyssey) ihre erste erfolgreiche Konsole auf dem japanischen Markt untergebracht hatten. Im schicksalhaften Jahr 83 entschloss sicher der japanische Gaming-Riese dann den ebenso schicksalhaften Famicom auf die Welt zu bringen - mit Erfolg, wie wir alle wissen! Nur zwei Jahre nach dem rentablen Launch konnte Nintendo nun die Marktsituation im Westen ausnutzen und expandieren. Aufgrund der Ablehnung gegenüber Konsolen musste allerdings ein neues Konzept her. Also wurde ein alternatives Design und ein auf die neue Situation angepasster Name entwickelt - das Nintendo Entertainment System war geboren. 1985 startete der NES in den USA und ein Jahr später auch bei uns. Mit einer frischen Mentalität und praktisch ohne Konkurrenz wurde das Nintendo-System ein voller Erfolg. Als eine Art Qualitätsgarantie fungierte die Zusammenarbeit mit den Drittentwicklern, die ihre Spiele für das System lizenzieren mussten. Erst wenn ein Titel einen akzeptablen Standard - sowohl technischer, als auch inhaltlicher Natur - erreicht hatte, gab es auch einen offiziellen Release für die Konsole. Alleine in den Vereinigten Staaten wurden so in 10 Jahren über 34 Millionen Stück des Geräts verkauft, wofür mitunter auch das beiliegenden Spiel Super Mario Bros. verantwortlich war.

click to enlarge click to enlarge
Links: Der Famicom aus Japan, rechts: Das uns bekannte NES.


Der Spieleindustrie Crash von 83 mischte also die Karten neu. Er zeigte, wie ein Markt reagiert, wenn er mit minderwertiger Ware überschwemmt wird. Zwar belebt Konkurrenz das Geschäft, doch zehn Konsolen überforderten die Kunden. Selbst heute ist es schwierig, zwischen drei großen Produkten (PlayStation 3, Xbox 360 und Wii) zu wählen. Dabei hat die aktuelle Hardware mittlerweile einen Lebenszyklus von etwa einem Jahrzehnt, oft sogar mehr. Der technische Eifer und die unrealistischen Erwartungen der großen Firmen führten damals zu einer untragbaren Situation. Durch den Kollaps des Marktes wurde allerdings die bis heute geltende Situation geschaffen. Hersteller und Entwickler haben aus den Fehlern gelernt – heute fließen Zeit und Budget in die Spiele, Lizenz-Modelle sorgen für Kompatibilität und Qualitätssicherung. Besonders Nintendos Vorgehen im Westen können wir diesen Umstand verdanken. Später sollten sie sich zwar mit Sonys PlayStation ihren eigenen Gegenspieler schaffen, doch das ist wieder eine andere Geschichte ...

click to enlarge
E.T. Der Außerirdische - Mögen wir diesen Meilenstein des schlechten Zockens nie vergessen.
Kontakt | Unser Forum | Über overclockers.at | Impressum | Datenschutz