"Christmas - the time to fix the computers of your loved ones" « Lord Wyrm

Gewalt in Computerspielen

karlstiefel 25.11.2011 33426 14
click to enlarge
Gewalt in Videospielen ist ein Thema, mit dem wir uns auf dünnes Eis begeben. So dünn, dass wir es unter uns bereits knistern hören können. Wir nehmen eine unfreiwillige Kneipp-Kur allerdings für euch in Kauf, denn schließlich verlässt uns die Diskussion um "Killerspiele" und Co nicht so schnell. Sie ist sozusagen zeitlos – leider.

Sonderfall



Seit den frühen 90ern kommt es immer wieder zum Aufschrei von intoleranten und gerne unaufgeklärten Kritikern, die digitale Gewalt verurteilen. Das ist nichts Neues, jedes Medium hat eine Hass-Phase durchleben müssen. Vor den Spielen waren es Metal und Hip Hop, davor Filme, Schallplatten (auf denen ja rückwärts aufgenommene Geheimbotschaften zu finden sind), Comics, Bücher und die Schrift selbst. Ja, richtig gelesen – die Schrift. Der Philosoph Platon fand diese nämlich absolut überbewertet, da sie schlecht für das Gedächtnis ist und man sie ja nicht wie bei einem direkten Gespräch hinterfragen kann. „Schrift? So ein Schwachsinn! Das setzt sich sicherlich nicht durch ...“ - so abstrus die Vorwürfe an die unterschiedlichen Medien sind, so traurig ist oft der Hintergrund der Kritik. Am 22. Juli 2011 tötete Anders Behring Breivik insgesamt 77 Menschen. In seinem 1.500 Seiten starken Manifest lobte er Call of Duty als exzellente Trainings-Möglichkeit. Am 26. April 2002 forderte der Amoklauf von Robert Steinhäusler in Erfurt 17 Todesopfer und auf seinem Rechner waren Return to Castle Wolfenstein, Hitman und Half Life installiert. Ähnlich die Bluttat von Sebastian B. am 20. November 2006 in Emsdetten, die 32 Opfer forderte. Auch er zockte gerne die verteufelten "Killerspiele". Drei Beispiele, die natürlich erstklassigen Treibstoff für die Kritik-Motoren liefern konnten. Wer sich jedoch wirklich mit dem Thema auseinandersetzt, wird sich mit der grundsätzlichen Verwendung von Gewalt in Spielen beschäftigen müssen.

click to enlarge
Ok, das ist NICHT hilfreich!


Dafür müssen wir noch etwas weiter ausholen und zwar genauer gesagt bis zur Rolle der Spiele in der Gesellschaft. Wir sind eine Generation, die mit Games aufgewachsen ist. Klassische Spieleserien wie The Legend of Zelda oder Super Mario Bros. sind gleich alt wie wir - Zeit unseres Lebens haben uns also Spiele begleitet. Mittlerweile sind sie ein fixer Bestandteil unseres digitalen Lebens. Doch nicht nur Hardcore-Zocker spielen öfters, sondern auch Casual-Gamer widmen sich gerne den Angry Birds auf ihrem iPhone oder FarmVille auf Facebook. Spiele sind ein Medium, das genauso weit verbreitet ist wie Bücher, Musik oder Filme. Überall gibt es Inhalte unterschiedlicher Natur und damit auch zum Beispiel Horrorfilme, Death-Metal, brutale Bücher mit detailreichen Beschreibungen von Mord und Totschlag ... und dann natürlich auch 3D-Shooter. Gewalt ist also nicht nur auf eine Form begrenzt. Aber etwas unterscheidet die Computerspiele dann doch von allen anderen Medienformen: Die Interaktivität. Ein Spiel ist nicht schon beim Verkauf fertig abgedreht, komponiert oder geschrieben - ein Teil fehlt nämlich bei jedem Exemplar und es liegt an uns, dieses ausstehende Element zu ergänzen. Um was es sich dabei handelt? Uns selbst!

Der Gewöhnungseffekt



Nicht zu leugnen ist, dass es Gewalt in Spielen gibt. Ja, man kann digital jemanden erschießen. Wenn man das auf täglicher Basis macht, erscheint das Bild eines tödlich getroffenen Menschen auch nicht mehr so dramatisch. Böse Stimmen würden sagen, man stumpft ab. Oder schmeichelnder gesagt: Man gewöhnt sich daran. Neu ist das allerdings nicht. Schaltet den Fernseher an einem beliebigen Wochentag ein und wahrscheinlich läuft ein Krimi. Im deutschen Fernsehen stirbt seit 1970 jede Woche jemand beim Tatort. Leichen im Fernsehen haben mittlerweile eine gewisse Beiläufigkeit erlangt, sodass es im Normalfall keinen mehr länger beschäftigt, als der dafür verantwortliche Film dauert. Natürlich kann man hier das nicht ganz abwegige Argument anführen, dass man in Computerspielen doch selbst tötet. So wahr das aber auch ist, darum geht es gerade nicht. Denn die Gewöhnung an den Anblick eines Mordes kann in jedem visuellen Medium stattfinden. Wir sehen die Nachrichten, in denen über Gewaltverbrechen berichtet wird, wir sehen Bilder von Kriegsschauplätzen in den Zeitungen und wir besuchen das Schlachtfeld selbst in Videospielen – bloß sind diese eben nicht real. Kurzum kann diese Enthemmung allgemein aufgrund der regelmäßigen Konfrontation durch die gesamte Medienlandschaft entstehen. Das ist nicht so übel, wie es sich zunächst anhört, denn schließlich besitzt selbst ein Zwölfjähriger (mittlerweile) eine gewisse Medienkompetenz und schafft es so, mit den konsumierten Bildern umzugehen. Die Kritiker vergessen wohl oft ein kleines Detail: Wir sind nicht alle Idioten.

click to enlarge click to enlarge
Bei der Fallout-Serie ist Gewalt möglich, aber nicht zwingend notwendig. Den Endgegner im 1. Teil konnte man sogar zu Tode quatschen!


Aber warum sind Computerspiele nun eigentlich gewalttätig? So blöd es auch klingt: Weil es einfach ist. „Halte deine Waffe auf ein Ziel und drück ab“ - dieser Satz beschreibt das grundlegende Regelsets jedes Ego-Shooters. Ein komplexeres System wie ein soziales Gebilde zu simulieren, ist wesentlich schwieriger und auch nicht so spannend bzw. actionreich. Grob übertrieben könnte man also sagen, dass Ego-Shooter nun mal eben eher mit Fangen spielen zu vergleichen ist und eben nicht mit Schach. Nun gut, wirklich gerecht wird dieser Vergleich der Komplexität eines Shooters auch nicht, doch die Mechanik dahinter funktioniert nach dem erwähnten, recht simplen Prinzip. Gewaltspiele haben ein einfach verständliches System hinter sich, das im tatsächlichen Gameplay schnell wiederzufinden und auch leicht umzusetzen ist. Nimmt man RPG-Ansätze hinzu, erhält man Spiele wie sie zum Beispiel von den Deus Ex- und Fallout-Serien geboten werden. Hier können auch Konflikte umgangen werden, in dem man sie in etwa durch Gespräche löst. Je komplexer die Spielmechanik, umso vermeidbarer ist also die Gewalt. Aber sein wir mal ehrlich – wenn wir Call of Duty oder Counter Strike spielen, wollen wir nicht diskutieren. Nein, dann haben wir ein Ziel im Sinne: Wir wollen ballern! Je einfacher die Aktion (in diesem Fall einen Schuss abzufeuern), umso unkomplizierter und somit schneller ist auch das Spiel selbst. Genau dasselbe Prinzip greift übrigens auch bei Rennspielen. Wir müssen uns nicht an ein durchdachtes Regelwerk wie im alltäglichen Straßenverkehr halten, sondern können Gas geben und versucht die Bestzeit und damit den ersten Platz zu erlangen. Simpler geht es nicht!

Kommen wir also zurück zu den Shootern, um es auf den Punkt zu bringen: Hier wird eine Kampfhandlung auf den kleinsten Nenner herunter gebrochen und mit fiktiven Gameplay-Elementen aufgefrischt, um es dann als Spiel zu präsentieren. Die Gewalt ist dabei unterm Strich nicht der Mittelpunkt, sondern lediglich das Mittel zum Zweck. Nur für welchen Zweck, das ist die Frage!

click to enlarge click to enlarge
Waffen im Krimi sind ja ok, aber beim Langlaufen?


Hau rein!



Damit wäre geklärt, warum es die sogenannten Killerspiele überhaupt gibt. Viel interessanter sind allerdings die Auswirkungen auf die Spieler. Wie gehen wir - die wir uns doch selbst zuvor als besonders medienkompetent eingestuft haben - mit digitalen Gewalttaten um? Obwohl man oft nicht den Eindruck hat, tendieren Psychologen dazu, hier eine Entwarnung auszusprechen. Natürlich gibt es immer wieder Studien, die Gewalttaten direkt mit Spielen in Verbindung bringen. Und leider sind das auch meistens die, die am lautesten schreien und den größten Rummel in den Medien verursachen. Direkt konnten wir mit mehreren, fachkundigen Leuten sprechen, die im psychologischen Bereich tätig sind; eine davon übrigens ausgebildete Kindertherapeutin. Die Gespräche ließen sich so zusammenfassen: „Spiele lösen nichts aus, was nicht schon da ist. Sie wirken wie ein Spiegel für unsere Seele.“. Wenn man also wissen möchte, wie jemand wirklich ist, muss man ihm nur Macht geben, genau das auszuleben. Und genau das tun Computerspiele eben. Indem sie uns die Möglichkeit zur konsequenzfreien Ausübung von Gewalt geben und eben diese in ein überschaubares Regelsystem integrieren, erzeugen sie eine „Erwartungshaltung“ uns gegenüber. Um zu gewinnen, müssen wir jemanden erschießen, weil sonst geht es ja nicht weiter. Unser Umgang mit diesen Erwartungen variiert jedoch. Da gibt es Leute, die solche Taten ablehnen und einfach die Finger von Shootern und ähnlich brutalen Spielen lassen. Andere blenden die Gewalt aus, sie wird das bereits erwähnte Mittel zum Zweck. Wieder andere genießen das Ausüben von Kontrolle und Macht und nutzen das Spiel sozusagen zum Abreagieren. Die Wenigsten versuchen jedoch, die Konsequenzen, die ihr digitales Handeln im realen Leben hätte, auf die Spielsituation zu übertragen. Genau hier kann es zu Problemen kommen: Wenn jemand mit einer instabilen Persönlichkeit die Folgen seines Handelns zunehmend ausblendet, wird die Hemmschwelle der betreffenden Person entsprechend niedriger. Das muss nicht unbedingt durch Spiele passieren, sondern kann auch in anderen Formen stattfinden. Ein Nährboden, um sich in Gewaltfantasien zu steigern, findet man überall oder schafft ihn sich notfalls auch selbst. Deshalb stellen wir folgende Vermutung auf: Besser ist es, wenn sich jemand mit diesen Problemen digital austobt, als dass er einem Schießverein beitritt und den tatsächlichen Umgang mit Handfeuerwaffen lernt. Letzteres bringt nämlich nicht nur die Hemmschwelle weiter Richtung Null, sondern schafft auch gleichzeitig die Gegebenheiten und Mittel, die für einen Ernstfall nötig sind.

click to enlarge
Schauen wir doch einen Sport ohne Waffen ... ach Mist ...


Negative Emotionen werden Menschen immer ausleben, welches Ventil sie dazu verwenden, ist von Mensch zu Mensch anders. Da Computerspiele nun mal da sind und sich hervorragend dazu eignen, sich in sie hineinzusteigern, liegt die Attraktion für tendenziell gewalttätige Menschen nahe. Niemand wird zum Gewalttäter, weil er ein "Killerspiel" zockt, aber ohnehin fragwürdige Persönlichkeitsstrukturen werden dadurch leider erweitert ausgelebt. Hier bei den Spielen anzusetzen, massiv Zensur zu betreiben und Verbote zu setzen, ist unserer Meinung allerdings nicht der richtige Weg. Ein Bruchteil der Spieler gehört zu einer gefährdeten Zielgruppe und darum sollte nicht dem Großteil der Konsumenten der Spaß verdorben werden. Viel eher sollte das Versagen des sozialen Netzes hinter diesen Problemfällen verhindert werden. Das echte Leben ist im Endeffekt doch ausschlaggebender, als es ein digitales Unterhaltungsmedium je sein könnte.

click to enlarge
Dann hören wir halt etwas friedliche Musik. Na ja, auch nicht wirklich das Wahre!


Friedliche Lösung



Was kann man also zusammenfassend sagen? Immerhin lassen sich ja ohne Schwierigkeiten mehrere Seiten über dieses Thema schreiben, ohne allzu konkret werden zu müssen. Versuchen wir, eine klare Aussage zu treffen: Gewalt in Computerspielen ist nicht direkt schlecht, der Umgang mit der (vom Medium unabhängigen) Gewalt ist jedoch ausschlaggebend. Wer Gewalttaten mit Games direkt in Verbindung bringt, hat etwas Grundsätzliches nicht verstanden. Täglich schaffen Leute es, mit realen Extremsituationen umzugehen, vom Soldaten im Auslandseinsatz bis zum Metzger, der hauptberuflich Tiere schlachtet. Gewalt und sogar der Tod hat für viele Menschen etwas "Normales" an sich. Keinen von diesen hart schuftenden Arbeitern würde man als potenziellen Amokläufer einstufen. So klar es nun auch ist, warum Spiele gewalttätig sein können - Stichwort: „Mittel zum Zweck“ und wie sie sich auf den Spieler auswirken können (mit der Möglichkeit, sich hineinzusteigern) -, ganz zu Ende bringen, kann man dieses Thema nur schwer. Was kann man also abschließend darüber sagen? Soll man Spiele jetzt ernster nehmen oder es doch lockerer sehen? Unterm Strich kommt es darauf an, was ihr von den Spielen erwartet. Manche wollen Unterhaltung, manche moralische Dilemma und wieder andere erhoffen sich die kontrollierte Ausübung von Macht. Wie man es auch nimmt, wir sind selbst dafür verantwortlich, was wir aus Spielen und ihrer Gewalt machen. In diesem Sinne: Habt Spaß und bleibt ruhig ... es ist doch eh nur ein Spiel.

hund-katze-entspannung_173881.jpg
Nach all den grauslichen Bilder schulden wir euch jetzt ein bisschen Abwechslung: Here we go!
Kontakt | Unser Forum | Über overclockers.at | Impressum | Datenschutz