"Christmas - the time to fix the computers of your loved ones" « Lord Wyrm

In Your Face Friday - Elektroschrott

karlstiefel 31.05.2013 18890 67
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Neuer Rechner, neue Grafikkarte, neues Handy und neues Tablet. Neu, neu, alles neu! Aber wohin mit den alten Geräten und Komponenten? Unser Umgang mit Elektroschrott schafft Probleme und Möglichkeiten, die nicht nur uns betreffen. Was wir als Müll ansehen, dient anderswo sogar als Grundlage für eine Industrie. Ist die Wegwerfgesellschaft also ein Wirtschaftsfaktor?

Es ist kurz vor 8 Uhr, vor der Hoferfilliale stehen neben den üblichen Hausfrauen und Pensionisten auch ein paar Studenten. Es ist wieder ein Notebook für wenige Hundert Euro im Angebot - da wollen die jungen Leute natürlich zuschlagen. Das letzte Medion-Notebook hat seine 4 Jahre gehalten, jetzt muss aber ein Neues her. Nachdem die Festplatte ausgebaut wurde, wanderte das alte Modell auf den Elektroschrott. Hardware - nicht nur Laptops sondern Telefone, PC-Komponenten und Peripheriegeräte - ist bei uns zur Wegwerfware geworden. Während die Reparatur von technischen Geräten entsprechend teuer ist, kommt man mit dem Neukauf oft auf fast den gleichen, wenn nicht sogar auf einen günstigeren Preis. Darum wird weggeschmissen, abgeschrieben und neu besorgt. Wo die entsorgte Hardware landet, kümmert die Wenigsten - aus den Augen, aus dem Sinn. Endstation für viele Computerteile ist eine Müllhalde in Accra, der Hauptstadt von Ghana. Der Stadtteil Agbogbloshie ist quasi rund um die Deponie aufgebaut. Dort leben die armen Bürger der Stadt davon, alte Teile zu zerlegen und brauchbare Komponenten wiederzuverwenden. So lässt sich am örtlichen Basar ein funktionsfähiger Rechner erwerben - komplett aus “Müll” zusammengebastelt. Alternativ lassen sich auch die Kupferkabel von der Isolierung befreien und zum Kilopreis an einen Metallhändler verkaufen. Die Auswirkungen einer solchen Endlagerstätte müssen wohl kaum erläutert werden - giftige Stoffe belasten die Umwelt und somit auch den Menschen, brennender Kunststoff sorgt für eine verschmutzte Luft.

Vice Magazine über Computer-Scammer in Ghana.


Aus der Asche unseres Mülls erhob sich aber wie ein Phönix eine ganze Wirtschaft. Ursprünglich wurden alte Computer nämlich als “Hilfsgüter” in das Land geschafft, um eine moderne Infrastruktur kostengünstig aufzubauen. Dies wurde jedoch schnell missbraucht, um Elektroschrott billig und unauffällig zu beseitigen. Die Agbogbloshie-Deponie ist das Resultat dieser halblegalen Entsorgungspolitik. Die Bemühungen haben dennoch gefruchtet, so hat Ghana mittlerweile die schnellste Internetverbindung auf dem ganzen Afrikanischen Kontinent. Eine direkte Verbindung mit dem LINX Internet-Knoten in London ermöglicht das. In Accra entsteht nun eine Computerindustrie nach westlichem Vorbild. Vorerst profitiert primär die Hauptstadt von dieser Entwicklung, der Rest des Landes kann bei diesem Trend noch nicht mithalten. Obwohl es sich um ein lokales Phänomen mit einer problematischen Kehrseite handelt, befindet sich die Wirtschaft in Ghana dank der IT-Branche im Aufschwung. Gerade wenn man sich die Geschichte Ghanas (fünf Militärputsche zwischen 1966 und 1981) und die oftmals problematischen Nachbarländer anschaut,versteht man vielleicht den Wert der wirtschaftliche Stabilität in diesem Land. Ob der Preis es dafür langfristig wert ist, muss sich erst zeigen. Wie es aktuell jedoch aussieht, dürfte Elektroschrott keine dauerhafte Wirtschaftsgrundlage für die Region sein. Die Container voller Müll werden dann in ein anderes Land gebracht, welches vielleicht keinen Umschwung dieser Art schafft.

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Das Fairphone ist ein Ansatz, Elektronik fair und nachhaltig zu gestalten.


Am anderen Ende unseres Nutzungsverhaltens steht die Fertigung der neuen Geräte. Trotz Recycling werden immer wieder neue Materialien für die Herstellung unserer Hardware benötigt. Hauptkomponenten sind hier Metalle wie Kupfer und Aluminium, das Silicium für die Transistoren und der Kunststoff für … eigentlich eh alles. Die Gewinnung von Bauxit und Erdöl sowie die Synthetisierung von Silicium sind ebenso aufwändig, umweltbelastend und vor allem nicht unendlich wiederholbar. Die seltenen Erden, aus welchen zahlreiche der Materialien gewonnen werden sind bereits heute ein heikles Thema, welches sich zukünftig noch zuspitzen wird. Wenn wir uns als der Durchlaufmotor für Elektronik sehen, müssen wir auch die Ausgangs- und Endpunkte unseres Verhaltens sehen. Das ist besonders bei solchen Produkten schwierig - gibt es hier doch keine “Bio”-Aufkleber bei Grafikkarten und Smartphones. Initiativen wie das Fairphone kommen noch nicht an den notwendigen Erfolg heran, welchen sie zum Überleben brauchen. Bis zur Etablierung von umweltfreundlicher Elektronik in unserer Gesellschaft dürfte es also noch eine Weile dauern.
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