"Christmas - the time to fix the computers of your loved ones" « Lord Wyrm

In Your Face Friday - Aussicht für die Brille

karlstiefel 17.10.2014 22005 18
Mit Datenbrillen hat eine interessante neue Technologie Fahrt aufgenommen. Google Glass, Oculus Rift und Sony's Morpheus können Informationen und virtuelle Welten nur Zentimeter vor die Augen des Benutzers bringen. Was sich jeder Geek in den 90ern erträumt hatte, wird nun endlich Realität. Fast - schließlich sind alle großen Projekte noch in Arbeit. Was das mit der einen oder anderen gescheiterten Technologie zu tun hat, lest ihr hier.

Eigentlich hätte er so cool sein sollen. Im Frühjahr 1995 habe ich im Club Nintendo Heft vom Virtual Boy, der 3D-Konsole von Nintendo gelesen. Ich war begeistert und konnte kaum darauf warten, diese zukunftsweisende Konsole anzuzocken. Daraus wurde nichts, der Virtual Boy entpuppte sich weltweit als Flopp, er schaffte es nicht einmal auf den europäischen Markt. Zu groß und klobig, um ihn auf dem Kopf zu tragen wurde er mit einem unpraktischen Standbein ausgestattet. Aufgrund technischer Limitierungen bestand das von den Bildschirmen darstellbare Farbspektrum nur aus der Farbe rot. Es sollte noch knapp 20 Jahre dauern, bis Datenbrillen wirklich marktreif werden. Willkommen in der Gegenwart.
Heute sind Google Glass, Oculus Rift und Sony's Morpheus schon fast marktreif - aber eben nur fast. Bevor wir auf das Dilemma eingehen, das diese Technologie zur Spate verkommen lassen könnte, müssen wir noch eine wichtige Unterscheidung treffen. Man kann die tragbaren Bildschirme in Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) unterteilen. Während bei VR mit zwei Screens ein stereoskopsicher Effekt wie im 3D-Kino erzeugt wird und das gesamte Blickfeld des Nutzers beansprucht wird, klinken sich AR-Brillen mit ergänzenden Elementen in das Umfeld des Trägers ein. Ein User-Interface fürs echte Leben quasi. Während VR-Brillen eher für die Benutzung im Sitzen, Stehen und Liegen geeignet sind, können AR-Brillen auch in freier Wildbahn angetroffen werden. Die Gesichtsrechner teilen sich ihre Anwendungsgebiete etwa wie ein Standrechner und ein Smartphone. Zumindest könnten sie das, wenn sie nicht ein kleines Problem hätten.
Aktuell kann man keines der drei genannten Produkte als gewöhnlicher Konsument kaufen. Zwar bietet Oculus Rift bereits die zweite Entwickler-Version ihrer Brille an, eine "Consumer Version" wird aber frühestens 2015 auf den Markt kommen. Auch Google Glass ist für schlappe 1.600 Dollar als "Explorer Edition" erhältlich. Dabei handelt es sich aber um einen Betatest des Produktes, dessen breiter Release noch kein Datum hat. Über Morpheus gibt es nur Gerüchte rund um einen 2015-Release, der Versuch Zeiss VR One kommt bereits im Dezember. Viele Brillen, hohe Erwartungen und ein eigenes Abteil im Hype-Zug machen V/AR-Brillen zu dem Technologie-Trend der vergangenen Jahre. Die Revolution wird uns versprochen, in die Tat umgesetzt wurde sie allerdings noch nicht. Es ist fast so, als würde man den Friedens-Nobelpreis an einen neugewählten US-Präsidenten für die von ihm generierte Hoffnung vergeben.

Was Oculus Rift kann, zeigen die Fine Bros mit ihrer "Elders react" Serie.

Halt, stopp! Einen Vergleich habe ich noch. Der hat mit meinem Musikkonsum vor über 10 Jahren zu tun. Damals war ich mit einem MiniDisc-Player unterwegs, von dem ich mir nicht weniger als die Offenbarung selbst, den Weltfrieden und das Ende jeglicher Hugnersnot erwartet hatte. Statt der klobigen CDs waren die handlich kleinen und quadratisch praktisch guten MiniDiscs das Abspielmedium. Vorbei waren die Zeiten, in denen das Wackeln des Wiedergabegerätes überhaupt ein Thema war. Ich war mir absolut sicher, auf das richtige Pferd gesetzt zu haben, zumal MP3-Player damals noch entweder hochstilisierte USB-Sticks oder schlichtweg unleistbar waren. Die Vorteile waren von meiner Perspektive aus überwältigend - und doch entpuppte sich die MiniDisc fast wie der Virtual Boy aber lange nicht so schwerwiegend als Flopp. Im Geschäft gab es ganze Wände voller CDs, MDs suchte man vergeblich. Ich musste mir also nach wie vor CDs kaufen und diese erst auf die MDs überspielen. Es fehlte an Medien - und somit an Kaufgründen - für das MiniDisc-System, 2011 kündigte Hersteller Sony die Einstellung der Abspielgeräte ein.
Zurück bei den Datenbrillen gilt es, diesen Fehler zu vermeiden. Es reicht nicht aus, ein starkes Stück Technologie auf den Markt zu bringen - es muss genug Unterstützung für das Produkt geben. Es wird viel darüber geredet, welch revolutionäre Dinge die Brillen machen könnte. Bis zur Markteinführung (und mit Sicherheit einige Jahre darüber hinaus) werden wir das volle Potential der Geräte aber noch nicht zu sehen bekommen. Ob Datenbrillen - egal ob mit virtueller oder augmentierter Realität - wirklich frischen Wind in die digitale Welt bringen werden, bleibt also abzuwarten. Wir haben immer und immer wieder Lobpreisungen über das Potential der Geräte mitbekommen. Nun gilt es, den ausgestellten Scheck auch einzulösen. Wenn wir in fünf bis zehn Jahren allesamt mit entsprechenden Brillen rumlaufen, werden jegliche Zweifel durch den nachweisbaren Erfolg abgelöst. Sollte das nicht der Fall sein, war es zumindest ein interessantes Experiment, von dem zukünftige Technologien profitieren können. Außerdem werden wir nicht wie dieser Typ enden. Und das ist ja immerhin etwas.

click to enlargeclick to enlarge
Hoffen wir, dass die Datenbrillen kein zweiter MiniDisc-Player werden. Oder gar ein Virtual Boy...
Kontakt | Unser Forum | Über overclockers.at | Impressum | Datenschutz